Vertrau deinem Herzen
war eine fette, heimatlose Verliererin, daran würde auch ein Krankenhausaufenthalt nichts ändern. „Oh mein Gott ...“ Ihre Zähne fingen an zu klappern. Sie versuchte, sich zu erinnern, wann sie ihre letzte Periode gehabt hatte.
„Wann bist du das letzte Mal bei einem Arzt gewesen?“
„Wie kommen Sie darauf, dass ich überhaupt schon mal bei einem war?“ Callie versuchte, lässig zu klingen, als wenn sie das alles nicht interessierte. Nie bei einem Arzt gewesen zu sein war eine Auszeichnung. Ihre Sozialarbeiter hatten immer dafür gesorgt, dass sie einen ausreichenden Impfschutz hatte, aber niemand hatte sie je zu einer Vorsorgeuntersuchung geschickt.
Dr. Randalls Antwort bestand aus einem kurzen Nicken. Es war irgendwie erleichternd, dass sie sich weder aufregte noch selbstgerecht gab.
„Callie? Ich darf dich doch Callie nennen?“, unterbrach die Ärztin ihre Gedanken.
Sie starrte an die Decke. „Also denken Sie, dass ich jetzt einen Doktor benötige, hm?“
„Das hängt davon ab. Wir müssen noch ein paar Tests mit dir machen.
„Was für Tests?“ Sie erschauerte. Würde sie sie jetzt fragen, mit wem und wie oft ... und ob sie verhütet hatte? Oh Gott!
„Du hattest einen Glukosewert von fünfzig, was unsere Vermutung bestätigt, dass du unter Hypoglykämie leidest. Deshalb hängst du auch am Tropf.“
„Großartig, danke!“ Callie blickte finster drein, zu sehr auf der Hut, um sich erleichtert fühlen zu können. Sie betrachtete das langsame Tropfen der Infusion. „Ich kann die Kalorien vertragen.“
Die Ärztin fand das offenbar nicht besonders lustig. „Was hast du für Essgewohnheiten?“
Das Mädchen starrte angewidert auf ihre pummelige Hand. „Ist das nicht offensichtlich?“
„Nein. Ich muss dich bitten, etwas spezifischer zu werden. Isst du regelmäßig? Hast du Mahlzeiten ausgelassen? Machst du vielleicht eine Zeit lang Diät, um danach umso mehr zu essen?“
„Na und?“ Kapiert sie es wirklich nicht? wunderte Callie sich. Bevor sie bei Kate eingezogen war, hatte sie keine große Wahl gehabt. Wenn man nicht wusste, woher die nächste Mahlzeit kommen sollte, lernte man, auf Vorrat zu essen. „Allerdings nicht mehr, seitdem ich bei ... Freunden am See wohne.“
„Aber du lässt immer noch manche Mahlzeiten aus, isst manchmal zu viel und dann wieder gar nichts.“
„Ist doch keine große Sache. Ich bin deshalb ja nicht gleich eine Verrückte ...“
„Das hat auch niemand behauptet. Deine Essgewohnheiten sind typisch für Teenager. Aber in deinem Fall haben sie leider schwerwiegende Folgen gehabt.“ Sie notierte etwas auf ihrem Klemmbrett.
Callie fühlte die kalten Finger der Angst. „Was für schwerwiegende Folgen?“
„Wir müssen dich noch einer Komplettuntersuchung unterziehen, aber die ersten Beobachtungen weisen auf eine Insulinresistenz hin. Was für dich sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht ist.“
„Dann will ich zuerst die schlechte hören.“
„Mit großer Wahrscheinlichkeit hast du Typ-2-Diabetes entwickelt. Weißt du, was das ist?“
„So ungefähr. Man kann dann einen Zuckerschock oder so kriegen.“
„Es gehört noch eine ganze Menge mehr zu diesem Krankheitsbild, aber darum kümmern wir uns nach und nach. Wenn die Tests uns verraten haben, womit wir es wirklich zu tun haben, wirst du einen Crashkurs über den Umgang mit der Krankheit bekommen.“
Krankheit, dachte Callie. Ich habe eine Krankheit. Es reichte nicht, dass sie fett war. Nein, sie musste auch noch krank sein! „Sagten Sie nicht, Sie hätten auch eine gute Nachricht?“
„Wenn du es schaffst, die Krankheit unter Kontrolle zu bekommen und zu behalten, wirst du ein langes und gesundes Leben führen können.“
„Und wenn nicht?“
„Wenn du die Krankheit ignorierst, sind die Gesundheitsrisiken enorm. Vertrau mir – du willst dich lieber darum kümmern. Im Unterricht wirst du alles darüber lernen.“
„Was für ein Unterricht?“
„Eigentlich sind es sogar mehrere Kurse. Du wirst Mitglied in einer Selbsthilfegruppe, einer Diabetes-Gruppe, einer Ernährungsberatungsgruppe ...“
Der Gedanke an Selbsthilfegruppen ließ die Haut des Mädchens jucken. „Wer sagt das?“
„Du hast es mich doch gerade sagen hören, oder nicht?“
Normalerweise hätte Callie dagegen rebelliert. Stattdessen aber empfand sie die bestimmte Art der Ärztin seltsam angenehm. Niemand hatte sich je dazu herabgelassen, ihr zu sagen, was sie tun und lassen sollte. Trotzdem konnte
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