Vertrau mir
mal wieder und brachte sie dazu, etwas zu tun, vor dem sie ihre innere Stimme laut warnte, dass es falsch war. Nicht nur, weil sie Maike Roloff half, eine Dummheit zu begehen. Sondern vor allem auch, weil sie sich geschworen hatte, nie wieder, egal unter welchen Umständen, mit der Szene in Kontakt zu kommen. Wie hatte es Maike nur fertig gebracht, sie da hineinzumanövrieren?
Wieder zu Hause, ging Anna gleich ins Bad, um sich den Schmutz des Tages vom Körper zu duschen und den Ärger gleich mit. In der Ecke auf dem Wäschekorb sah sie Maikes Sachen liegen. Fein säuberlich zusammengelegt. Sie nahm die Bluse in die Hand, roch daran. Ein süßlich herber, angenehmer Duft erfüllte Annas Nase. Als ihr bewusst wurde, was sie tat, runzelte sie die Stirn. Was denn nun noch, Anna? Hast du nicht genug Probleme? Leg den Fetzen wieder hin.
Nach einer ausgiebigen Dusche fühlte sie sich frischer. Doch die Gedanken schwirrten nach wie vor in ihrem Kopf herum. Und sie schwirrten hauptsächlich um Maike. Diese Kommissarin war offensichtlich absolut karrieregeil und vergaß darüber alle Vorsicht. Sie ahnte nicht im Geringsten, worauf sie sich einließ. Wenn Claudia herausbekam, dass sie sich eine Spionin eingefangen hatte, konnte alles Mögliche passieren. Im besten Fall jagte sie Maike einfach zum Teufel. Was im schlechtesten passierte, wollte Anna sich gar nicht ausmalen.
Anna dachte an eines ihrer letzten Gespräche mit Claudia. Unzählige andere gingen diesem voran. Diskussionen, die von Mal zu Mal unheimlicher wurden. Denn von Mal zu Mal steigerte sich Claudias Gewaltbereitschaft . . .
»Tierbefreiungsaktionen und Farbbomben. Autonome Tierschützerkinderkacke. Weder das eine noch das andere bewirkt wirklich etwas. Die meisten unserer Aktionen werden von den Leuten doch gar nicht wahrgenommen. Sie finden keine Erwähnung in der Tagespresse. Es ist spannender, welcher Promi in Scheidung lebt oder wer wen wo gevögelt hat, als die Tatsache, dass täglich Tausende Tiere in Versuchslabors sterben. Wir können noch so viel demonstrieren und Aktionen vor Werkstoren von Firmen machen, die Tierversuchslabore mit Aufträgen versorgen.«
»Es wurden bereits Labors geschlossen«, hielt Anna gegen. »Die Kündigungsrate der Firmen, vor deren Werkstoren wir waren, steigt drastisch durch die Aktionen.«
Claudia winkte nur ab. »Die Öffentlichkeit erfährt fast gar nichts davon. Es geht alles zu langsam. Über Jahre! Was fehlt, ist ein Ereignis, das die Öffentlichkeit wachrüttelt. Von dem in den Medien über Tage und Wochen berichtet wird. Ein Ereignis wie der 11. September 2001. Seit dem Tag spricht die ganze westliche Welt über die Bedrohung durch den Terror. Aber dazu musste erst ein Wahrzeichen Amerikas in Schutt und Asche gelegt werden.«
»Heißt das, du willst Angst und Schrecken verbreiten?«
»Wenn es sein muss.«
»Damit werden wir nichts anderes erreichen, als dass die Menschen entsetzt über uns sind. So schafft man doch keine Sympathisanten.«
»Das ist mir absolut klar. Das ist auch nicht das Ziel. Das Ziel ist, in Erinnerung zu bleiben. Positiv oder negativ spielt keine Rolle. Hauptsache in den Köpfen der Leute setzt sich etwas fest. Dann wird man zwangsweise über die Bedingungen, unter denen die Tiere in den Labors leben, sprechen. Man wird hinterfragen, kontrollieren, beobachten. Mehr und mehr werden die Notwendigkeit der Versuche anzweifeln. Das ist das Ziel. Nichts anderes.«
»Damit rechtfertigst du jede Art von Gewalt?«
»Einer muss ja ein Zeichen setzen.« . . .
War das eine Art Vorankündigung gewesen? War Claudia mit einigen anderen Gleichgesinnten wirklich so weit gegangen, die ihrer Meinung nach Verantwortlichen zu entführen?
»Ich habe dich hier noch nie gesehen.« Claudia stand direkt vor Maike, musterte sie eindringlich.
»Ja und? Ich probiere ab und zu mal ein neues Lokal. Heute eben dieses«, erwiderte Maike lapidar. »Hast du ein Problem damit?«
Claudia Schraders Augen bohrten sich förmlich durch sie hindurch.
»Schöner Streit, den du da hattest.«
»Was interessiert es dich?« Maike verhielt sich absichtlich ablehnend. Claudia sollte sich ein wenig anstrengen, und vor allem nicht den Eindruck bekommen, sie wartete darauf, von ihr angesprochen zu werden.
»Ne Freundin von dir?« hakte Claudia nach.
»Kann man so nicht sagen. Mehr eine Bekannte.« Jetzt sah Maike Claudia direkt in die Augen. »Sonst noch was? Ansonsten würde ich gern in Ruhe meinen Kaffee austrinken.
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