Vertrau mir
frustrierender, dass Wallbach mich zurück in meine Abteilung schickt. Dabei bin ich diejenige, die uns in dem Fall so weit vorangebracht hat. Und ich kenne Claudia am besten, weiß, wie sie denkt. Wie kann er mich da aus dem Team schmeißen?«
»Nimmst du die ganze Sache nicht zu persönlich?« fragte Anna.
»Wenn du damit meinst, dass es mich ärgert, dass ich von dem Fall abgezogen wurde, dann ja. Normalerweise ist es üblich, einen Fall von Anfang bis Ende zu bearbeiten. Von einem Fall abgezogen zu werden, ist kein Aushängeschild.«
»Es ist also keine Sache zwischen dir und Claudia?«
»Was meinst du damit?«
»Ich habe den Eindruck, dass Claudia dich auf eine merkwürdige Art und Weise fasziniert. Du fühlst dich von ihr herausgefordert. Ihr beide ähnelt euch in gewisser Weise.«
»Bitte?« Das meinte Anna doch wohl nicht ernst.
»Du und sie, ihr seid überzeugt von dem, was ihr tut. Ihr seid beide Kämpferinnen. Du hast das Gesetz auf deiner Seite. Sie nur die Moral. Du übertrittst gelegentlich die Grenzen des Gesetzes, sie die Grenzen der Moral. Beide habt ihr immer eine gute Entschuldigung dafür.«
»Meine Arbeit schützt die Gesundheit und das Leben von Menschen«, stellte Maike klar. »Das ist wohl zumindest ein wesentlicher Unterschied zwischen mir und Claudia.«
»Claudia schützt das Leben von Tieren. Welche von den durch dich beschützten Menschen gequält und ermordet werden«, erwiderte Anna ungerührt.
»Auf wessen Seite stehst du eigentlich?« fragte Maike irritiert.
»Auf keiner von beiden. Sie sind mir beide zu starr.«
Sie schwiegen. Maike dachte über Annas merkwürdigen Vergleich nach. Und über deren Behauptung, dass sie in Claudia eine Art Herausforderung sah, eine persönliche Widersacherin. Vielleicht weil Claudias Willkür und Selbstjustiz das Gegenteil von dem waren, was sie vertrat, Ordnung und Gesetz. Der Mensch ist nun mal nicht von sich aus diszipliniert. Er braucht Regeln. Und das Zuwiderhandeln gegen die Regeln muss bestraft werden. Punkt um. Sonst versinkt die Gesellschaft im Chaos. Aber das Anna zu erklären, war wohl Zeitverschwendung. Maike war klar, dass Anna mehr auf Claudias Seite stand, auch wenn sie es nicht zugab.
»Ich habe noch nie eine Frau wie dich gekannt. So aufrichtig und gleichzeitig so widersprüchlich«, sagte Maike aus ihren Gedanken heraus.
»Soll das ein Kompliment sein?« fragte Anna unsicher.
»Ja . . . ja, ich glaube schon. Dafür ist es wohl auch an der Zeit, nach all dem, was du für mich getan hast.«
»Das ist dir aufgefallen?«
Maike bemerkte den leicht bitteren Unterton in Annas Stimme.
»Natürlich ist mir das aufgefallen«, versicherte sie ernst. »Zugegeben, wir hatten keinen guten Start. Und zugegeben, ich war manchmal grob. Aber mir ist bewusst, wie sehr du mir geholfen hast. Wir waren ein richtig gutes Team.«
»Meinst du das ernst?«
»Aber ja, natürlich.«
»Du bist also nicht mehr der Meinung, ich bin minderwertig, weil ich mal eingesessen habe? Ich frage nur, um sicherzugehen.«
»Das habe ich nie gesagt«, wehrte Maike ab.
»Nein, du hast mich nur so behandelt.«
»Habe ich das?«
»Ja.« Anna nickte.
»Das tut mir ehrlich leid.«
»Na ja, Schwamm drüber. Ich bin keine Mimose«, sagte Anna.
»Du bist nicht sauer?«
»Nicht mehr.«
Anna räumte den Teller und das Glas ab. »Am Anfang war ich es. Aber dann sagte ich mir, dass du nichts dafür kannst. Dein Beruf lässt dich so sein, wie du bist.« Sie zwinkerte Maike zu. »Auf die Art kam ich über die Enttäuschung weg.«
Maike machte ein zerknirschtes Gesicht. »Du hast mich sicherlich tausendmal verflucht.«
»Mindestens«, bestätigte Anna. »Besonders, weil du immer das Gegenteil von dem getan hast, was ich dir riet.«
Anna beugte sich zum Geschirrspüler hinunter, stellte den Teller und das Glas hinein. Als sie sich wieder aufrichtete, fühlte sie plötzlich Maikes Hand auf ihrer Schulter. Sie drehte sich um. Maike stand direkt vor ihr. »Wie hast du das nur aushalten können?«, fragte sie entschuldigend lächelnd. Ihr Gesicht war dem Annas ganz nah.
»Vielleicht habe ich eine Schwäche für schwierige Frauen«, erwiderte Anna sanft lächelnd. Und fragte sich gleichzeitig: Tickst du noch richtig? Wie kannst du so was sagen? Sie fühlte Maikes Hand über ihre Wange streichen. »Sei vorsichtig. Sonst werde ich vielleicht auch schwach«, flüsterte Maike.
Ausgehend von Annas Bauchnabel breitete sich ein warmer Schauer in ihrem Körper aus. Ihre
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