Vertraute Schatten
»Touché. Ich nehme an, sie liegt irgendwo und wartet auf mich? Sonst würdest du wohl nicht so grinsen.«
Vlad kicherte. »Du wirst es herausfinden, nehme ich an.«
Damien seufzte und vertiefte sich in den Anblick eines Ölgemäldes an der gegenüberliegenden Wand, das irgendein Schloss darstellte, und wartete darauf, dass Vlad das Thema wechselte. Als Vlad ihn einfach nur weiter anstarrte, sah er ihn schließlich durchdringend an.
Was soll das?
»Wenn es um Ariane geht, bist du ganz schön empfindlich«, sagte Vlad, legte den Kopf auf die Seite und betrachtete Damien interessiert. »Woran könnte das bloß liegen?«
Damien stöhnte. »Glotz mich nicht so an, Vlad. Ich spiele nicht gern das Studienobjekt. Allmählich komme ich mir vor wie einer dieser Käfer, die man mit einer Nadel aufspießt und auf ein Stück Pappe heftet.«
Das entlockte Vlad ein müdes Lächeln. »Es interessiert mich, weil selbst du normalerweise nicht wie ein ungezogener Schuljunge davonschleichst. Es wirkt fast, als würdest du alles dransetzen, dass sie dich möglichst abscheulich findet.«
»Also wirklich«, erwiderte Damien. »Das funktioniert auch ohne dass ich mich extra reinhänge.«
Vlad schüttelte den Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Mir ist schon aufgefallen, dass du von allen immer nur das Schlechteste erwartest und von dir selbst noch viel weniger. Interessante Lebensstrategie.«
»Und eine fantastische Methode, sich Enttäuschungen zu ersparen.«
»Tja.« Mit sanfter Stimme, gewieft wie ein Psychotherapeut, wechselte Vlad das Thema. Damien spürte einen Anflug von Panik. Und ob er gerade als Studienobjekt missbraucht wurde!
»Wieso hast du Ariane eigentlich heute Abend nicht mitgenommen? Bis jetzt hast du sie offenbar ganz nützlich gefunden, zumal in Anbetracht der Tatsache, dass ich dich noch nie freiwillig mit jemandem habe zusammenarbeiten sehen.«
Damien verdrehte die Augen. »Wieso musst du eigentlich dauernd nachbohren? Vielleicht habe ich einfach nur die Schnauze voll von allem, was nach Grigori aussieht. Lass mich in Ruhe, Vlad.«
»Du bist nicht der Einzige, der eine anstrengende Woche hinter sich hat. Wenn du auch nur einen Gedanken daran verschwendet hättest, wäre dir vielleicht aufgefallen, dass ich die Empusae nicht einfach aus Spaß an der Freude besucht habe. Sei mir nicht böse, wenn ich nicht in der Stimmung bin für deinen üblichen Schwachsinn.« Vlad klang zunehmend ungeduldig, und sein osteuropäischer Akzent war jetzt deutlich herauszuhören.
Damien wusste, dass das eine Warnung war. Man hatte ihm erzählt, dass das transsilvanische Erbe des Dracul nur zutage trat, wenn er schwer genervt war oder ihm der Geduldsfaden riss oder beides gleichzeitig. Damien hatte allerdings noch nie miterlebt, wie der normalerweise so ausgeglichene Vampir die Beherrschung verlor – aber nach allem, was er darüber gehört hatte, wollte er das auch lieber nicht miterleben müssen.
»Na gut«, gab Damien brummig nach. »Also, eine einfache Antwort: Ja, ich dachte, Ariane könnte mir vielleicht nützlich sein. Nur dass ich jetzt nicht mehr weiß, was ich mit ihr anfangen soll.«
Vlad schnaubte. »Sie macht einen netten Eindruck. Ein vertrauensvolles Geschöpf. Und schön ist sie natürlich auch. Und viel zu gut für dich. Kein Wunder, dass du solche Angst vor ihr hast.«
»Ja, genau. Du weißt ja, was für ein Angsthase ich bin. Das ist schon ein Fluch, wenn man tief im Innern eigentlich ein verwundetes Kind ist«, sagte Damien sanft.
Als ihm das nur einen langen, missbilligenden Blick aus Augen eintrug, die inzwischen das kalte, funkelnde Blau arktischen Eises angenommen hatten, seufzte er auf, ging zu Vlad hinüber und lümmelte sich auf eine bequeme rosafarbene Samtcouch.
»Ich dachte, du hättest es allmählich satt, mich zu psychoanalysieren«, sagte er. »Und diese Verkupplungsversuche sind einfach nur nervig. Komm, lass uns was trinken. Da habe ich jetzt mehr Lust drauf.«
»Wie üblich.«
Vlads kalter Blick und seine steife aristokratische Haltung erinnerten Damien unangenehm an so manches unerfreuliche Gespräch, das er vor langer Zeit mit seinem Vater geführt hatte. Irgendwo in dem Stockwerk über ihnen, nicht weit entfernt, konnte er Arianes warmherziges Lachen hören. Er hob den Kopf, und wäre er in seiner anderen Gestalt gewesen, hätte er auch die Ohren in diese Richtung aufgestellt. All seine Sinne wandten sich ihr schlagartig zu, gierig nach mehr. Die Stunden, die er
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