Vertraute Schatten
»Ach, das ist vermutlich der neue Normalzustand. Bis Lily die ganze Sache ins Rollen gebracht hat, wusste ich gar nicht, was für ein Pulverfass der vampirische Rat ist. Dass der Aufstieg der Lilim zu Problemen führen würde, war mir klar. Aber sie treibt die Sache auch schneller voran – und das auf verschiedensten Ebenen –, als ich gedacht hatte.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Mormo hat vor langer Zeit mal gesagt, eines Tages würde der Zeitpunkt kommen, wo wir uns alle zusammenraufen oder aber untergehen müssten. Nur hatte ich immer angenommen, dass sich der Wandel eher allmählich vollziehen würde.«
Damien zog die Stirn in Falten. »Aha. Dann warst du also bei Mormo und hast sie um Rat gefragt.«
Vlad stieß einen tiefen Seufzer aus. »Hat mir nur leider nicht viel gebracht. So vieles verändert sich gerade. Selbst für mich sind diese Veränderungen nicht einfach, dabei bin ich – abgesehen von Lily – noch der Jüngste unter den Führern. Ich bin stolz, ihr Verbündeter zu sein. Aber auch andere haben sich rasch ihre Verbündeten gesucht, und ich habe Gerüchte gehört, dass Arsinöe sich an einige ihrer Langzeitverbündeten in Übersee gewandt hat. Die derzeitige Stille ist trügerisch. Unter der Oberfläche brodelt es.«
»Arsinöe«, murmelte Damien. »Inzwischen dreht sich mir der Magen schon um, wenn ich nur den Namen höre. Ihr Schachzug, die Werwölfe zu versklaven, war reichlich bescheuert, hat aber trotzdem genug Schaden angerichtet.«
»Andere Dynastien und andere Rassen sind für sie wie Spielzeuge«, erwiderte Vlad, der auf einmal sehr müde klang. »Immer wieder versucht sie, den Lilim zu schaden, und wo immer es ihr gelingt, schnappt sie sich die Schwachen oder die Pechvögel. Die Geschichte mit dem Rudel der Thorn war ein Experiment. Den Kampf hat sie zwar verloren, aber er hat ihr eine Menge an Informationen geliefert. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie die Erfahrung nutzt, um sich an ein anderes Rudel ranzumachen. Aber Genaueres kann ich im Moment nicht sagen. Die Ptolemy sind allen Außenstehenden auf ihren Territorien in letzter Zeit äußerst feindlich gesinnt. Ich habe meine Leute angewiesen, sich fernzuhalten … trotzdem habe ich meine Spione natürlich überall. Lyra hält ebenfalls für mich die Augen offen. Allerdings gab es bei den Thorn in letzter Zeit genügend Erschütterungen, dass die anderen Rudel sie meiden.«
»Ein Fehler«, sagte Damien und lehnte sich mit der Hüfte an einen Sessel. »Ein mit einer Vampirdynastie verbündetes Wolfsrudel könnte ziemlich wertvoll sein.«
Vlad tat dies mit einer geringschätzigen Handbewegung ab. »Die sind genauso eingefahren wie wir, Damien. Aber du hast recht – es ist ein Fehler. Wir gehen schweren Zeiten entgegen. Die Empusae sind schwach. Die Lilim sind jung und noch damit beschäftigt, sich zu organisieren. Und jetzt diese rätselhaften Andeutungen über ein seltsames Wesen in der Wüste … in manchen Nächten frage ich mich, ob nicht wirklich alles einfach auseinanderfallen wird.«
»Du hast recht«, erwiderte Damien. »Es gibt eine Menge, worüber du dir Sorgen machen musst. All das bestätigt mir nur, dass es die richtige Entscheidung war, in das Geschäft des Stehlens und Mordens einzusteigen.«
Er hatte erwartet, dass Vlad grinsen würde. Normalerweise tat er das, wenn Damien Witze über seinen Job riss. Aber diesmal konnte ihm das nicht einmal ein müdes Lächeln entlocken. Sein Blick ließ Damien das Blut in den Adern gefrieren.
»Selbst die Shades werden irgendwann eine Entscheidung treffen müssen«, sagte Vlad. »Vermutlich eher früher als später. Du bist keine Insel, Damien, so gern du das auch wärest.«
Darauf wusste Damien keine Antwort. Die Überzeugung, mit der sein Freund das sagte, erschütterte ihn. Er wollte nur wieder in dem Lichtstrahl baden – nicht im Sonnenlicht, wie er sich so nett ausgemalt hatte, sondern im Licht des Monds –, den Ariane ihm vielleicht schenken würde. Der Wunsch, sie sicher und abgeschottet von all dem zu wissen, was Vlads Überzeugung nach auf sie zukam, war so überwältigend, dass es ihm schier den Atem raubte.
Er drehte sich um, in Gedanken wieder bei dem muffig riechenden Haus seiner Erinnerung, luxuriös und doch schäbig, weil er sich im Grunde überhaupt nichts daraus gemacht hatte. Voller Dinge und doch wertlos. Nie hatte er etwas besessen, das gelohnt hätte, es zu hegen und zu beschützen … nicht einmal jetzt tat er das. Wenn er
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