Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Gesicht.
»Er möchte sein Revier nicht aufgeben.« Billi nahm einen Schluck Prosecco. »So sind die Männer.«
Ich starrte sie ungläubig an. »Du meinst, er verteidigt nur noch sein Territorium und liebt mich gar nicht mehr?« Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen oder beleidigt sein sollte.
»Ich glaube, er liebt das Gefühl, gebraucht zu werden. Und da ist er bei Sonja an der richtigen Adresse.«
»Und Sonja?«, flüsterte ich bange.
»Genießt es, umworben zu werden.«
»Hat sie das mit den Briefen immer noch nicht gemerkt?«
»Sie nicht, aber Rainer. Er ist ja kein Dummkopf.«
Mir stockte der Atem. »Er hat es be…« Vor lauter Aufregung fing ich an zu stottern.
»Er ist da ganz flexibel«, sagte Billi entspannt. »Nachdem Sonja sich so über die Briefe gefreut hat, schreibt er ihr jetzt direkt. Sie hat mir schon ein paar davon vorgelesen.«
»Du meinst, er hat …« Ich schluckte trocken. O Gott, Rainer hatte mich ja komplett in der Hand! Wenn er mich bei Sonja verpetzte, wäre es endgültig aus mit unserer Freundschaft! »Und sie freut sich über seine Briefe?« Irgendwie war mein Gehirn wie leer gefegt.
»Ja, sie lebt total auf! Das hat die Oberkrise von ihr abgewendet!« Billi hielt inne und konnte ein leises Kichern kaum unterdrücken. »Überleg doch mal: Erst wird sie von Holger verlassen. Ihr Selbstwertgefühl ist im Keller. Gleichzeitig wird sie tagtäglich damit konfrontiert, dass Vivian hübscher, jünger und erfolgreicher ist als sie. Dann muss sie ihren vermeintlichen Schwarm Roman an ihre Tochter abtreten, mit der Folge, dass sie sogar Großmutter wird! Doch der Kindsvater übernimmt keine Verantwortung und setzt sich mit dem Geld ab, das sie ihm für die Produktion der Fitness- DVD gegeben hat. Ein Albtraum. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wäre da nicht Rainer aufgetaucht, der ihr so tolle Gedichte schreibt!«
Ich schluckte. Ja, so wie sie das erklärte, ergab das alles einen Sinn.
Trotzdem schämte ich mich. »Ich habe ein sauschlechtes Gewissen ihr gegenüber!«
»Brauchst du nicht. Sonja ist glücklich.«
»Aber dass ich ihr Rainers Zettel zugespielt habe, war vorsätzlicher Betrug!«
Billi winkte ab. »Mach dir keinen Kopf. Du hast doch jetzt andere Sorgen! Außerdem scheint es Sonja und Rainer gut damit zu gehen. Der sieht doch jetzt richtig manierlich aus!«
»Also, ich finde, er hat was von einem gerupften Vogel …«
»Zugegeben. Mein Fall ist er auch nicht«, sagte Billi amüsiert. »Und wenn er mich so drangsalieren würde, wie er das bei dir getan hat, würde ich ihn erschlagen!«
»Ein bisschen habe ich mir das selbst eingebrockt«, gestand ich kleinlaut. Ich erzählte von meiner schauspielerischen Leistung plus Gesangseinlage, Stichwort »hollari hollaro«, und sie wälzte sich vor Lachen auf dem Sofa.
»Kannst du ihr bitte sagen, dass sie ruhig sein soll!«, schrie die am Küchentisch sitzende Rikki aggressiv.
Ich dachte schon, ich wäre gemeint, aber sie meinte die Austauschschülerin, die mit gutturalen Lauten das Kind bespaßte.
»Ich möchte Rainer einfach nur loswerden«, gestand ich.
»Ich möchte die da einfach nur loswerden!«, murmelte Rikki zwischen ihren lateinischen Silben.
»Schau, ihr geht es wie dir«, sagte Billi grinsend. »Die Geister, die sie rief, wird sie nun nicht los!«
»Man kann sich echt nicht konzentrieren!«, brüllte Rikki.
»Warum gehst du nicht in dein Zimmer?«, wagte ich zu fragen.
»Weil da die Sandra schläft.«
Oh. Die Sandra. Die kannte ich noch gar nicht. »Sag mal, Rikki, jetzt machst du also nicht mehr Spanisch als Hauptfach, sondern Englisch?« Ich betrachtete den amerikanischen Au-pair- Jungen, der andächtig Kekse ausstach und Billis Küche vollkrümelte.
»Nein, Latein!«, gab Rikki zurück. »Ich dachte, das hört man.«
»Mo-ment!« Ich sah ratlos in die Runde. »Heißt das, dass jetzt sowohl Reni als auch Barnie gar keine Funktion mehr haben?«
»Tja.« Billi zuckte grinsend die Achseln. »Als Mutter lernt man, flexibel zu sein.«
»Ach, Mama! Ich hab dir doch genau erklärt, warum ich jetzt Latein mache!« Rikki wirkte wahnsinnig gestresst. Sie hatte wegen Mohair schon ein Jahr verloren und wollte jetzt um jeden Preis ein halbwegs gutes Abitur hinlegen.
Billi erklärte mir: »Die Englischlehrerin ist voll ätzend, und der Lateinlehrer voll süß! Der lässt sie abschreiben, geht aus dem Raum und so.«
»Ja, du hast es kapiert!«, rief das reizende Töchterchen genervt. »Aber Latein
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