Verwechseljahre: Roman (German Edition)
sie verspielt.«
»Und sich immer wieder neues Geld geliehen. Mithilfe seines Charmes ist es ihm sogar gelungen, sich nachts auf dem Autobahnparkplatz von Streife fahrenden Polizisten welches zu leihen! Darauf war er sogar noch stolz!« Silke schnaubte verbittert auf.
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Ich fächelte mir Luft zu. Er hatte uns alle in ernste Gefahr gebracht! Seine Eltern, Silke, meine Freundinnen und zuletzt auch mich. Ich sah die beiden Frauen an und spürte einen Stich. Mein Sohn! Keine von uns hatte ihm in den Rücken fallen wollen. Jede hatte ihn geschützt. Auch seine A-Mutter. Aber genützt hatte das nichts. Er hatte nicht nur gelogen, betrogen und gestohlen. Er hatte auch seinen leiblichen Vater erpresst. Und mich damit in große Gefahr gebracht. Ich holte tief Luft und erzählte den beiden Frauen vom Besuch der Mafia.
Den beiden fiel der Unterkiefer herunter, als ich ihnen schilderte, wie die kriminellen Kerle bei mir zu Hause auf dem Sofa gesessen hatten. Wie ich sie noch bewirtet hatte. Bis ich plötzlich das Messer an der Kehle spürte. Wie sich die Räder des Rollstuhls weitergedreht hatten, nachdem sie ihn mutwillig umgestoßen hatten. Ich schilderte ihnen meine Angst um Mutter.
Silke ließ die Schultern hängen und klang so niedergeschlagen, dass ich sie am liebsten in den Arm genommen hätte.
»Es ist besser, dass er weg ist«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Wir müssen ja irgendwie weiterleben.« Sie fuhr sich verstohlen über das Gesicht.
Beate war fassungslos.
Ich ließ mich erschöpft in meinen Stuhl zurücksinken. Eine Weile schwiegen wir, obwohl es sich anfühlte, als würden wir weiterkommunizieren. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich, dieses stille Einvernehmen.
»Und die Kinder?«, wandte ich schließlich ein. »Fragen sie nicht nach ihm?«
Silke straffte sich und schüttelte den Kopf. Ich bekam kaum noch Luft. Mein Leben lang hatte ich versucht, die Erinnerung an meinen Sohn auszuradieren. Es war mir nicht gelungen. Aber Roman hatte sich selbst ausradiert! Aus seiner eigenen Familie!
»Ihr Papa war beruflich viel unterwegs«, erklärte Silke schließ lich sachlich. »Sie sind es nicht anders gewöhnt. Wir sprechen nur gut über ihn.«
So als wäre er tot?! Ein Frösteln überkam mich. Ich hatte schon den Stab über Roman gebrochen, Beate und Silke noch nicht. Plötzlich fühlte ich mich eigenartig. Sie hatten ja auch nicht den Stab über MICH gebrochen! Verdammt! Wie leicht lässt es sich über andere urteilen, wenn man nichts von den Ursachen und Gründen versteht. Wie leicht hätten sie mit dem Finger auf mich zeigen, mir die Schuld zuschieben, mich als Rabenmutter verurteilen können, so wie Roman es getan hatte. Stattdessen hatten Silke und Beate mich aufgefangen. Mich sprichwörtlich vom Boden aufgelesen. In ihre Familie integriert. Mir eine Aufgabe zugewiesen. Sich in mich hineingefühlt. Mir verdammt noch mal eine Chance gegeben. Wenn ich doch nur Roman eine Chance geben könnte!
»Kommt Zeit, kommt Rat, Kind!«, hörte ich meine Mutter sagen. »Du reißt dich jetzt zusammen, versuchst dich nütz lich zu machen, krempelst die Ärmel hoch und hältst hier für Roman die Stellung. Gib ihnen all die Liebe, die du ihm nicht geben konntest. Und vielleicht ergibt sich daraus eine neue Chance. Für euch beide.«
33
U nd so blieb ich die ganze Adventszeit in diesem kleinen Reihenhaus bei Silke und den Kindern. Beate arbeitete in einer Steuerkanzlei und war froh, dass ich sie als Oma ein bisschen unterstützte. In meiner Bibliothek hatte ich mir bis auf Weiteres unbezahlten Urlaub genommen. Frau Dünnbügel über nahm begeistert meinen Job.
Silke wollte sich selbst wieder ein bisschen in ihrem beruflichen Umfeld umschauen, ihre Kontakte pflegen und ein paar Weiterbildungsseminare besuchen. Auf einmal hatte ich einen ganz neuen Platz im Leben! Morgens um halb sieben erschien ich zum »Oma-Dienst«, wie wir das nannten, half Silke, die Kinder anzuziehen, Frühstück zu machen und Ben zu füttern. Zum allerersten Mal bekam ich ein ganz normales Familienleben mit, mit allem, was dazugehört: Zank und Streit im Bad, Trotzanfälle beim Anziehen, Wasserlachen auf dem Fußboden, verlorene Söckchen, verschimmelte Brotreste in der Butter brottasche, angenagte Apfelstrünke unterm Bett und vermisste Kuscheltiere unterm Schrank. Garniert wurde das Ganze mit entzückendem Französisch, das Silke mit ihren Kindern sprach:
»C h ´ erie, va te laver les
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