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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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mains!«
    »Ne tombez pas, c h ´ eris!«
    Bald hatte ich mein Französisch von früher wieder ausgegra ben. Wir sangen »Sur le pont d’Avignon, l ’ on y danse, l ’ on y danse« und tanzten im Badezimmer im Kreis herum. Klein-Ben war mir besonders ans Herz gewachsen. Er streckte die Ärmchen nach mir aus und schmiegte sich an mich, wann immer ich ihn halten durfte. Silke erlaubte sogar, dass ich ihn badete. Ich genoss das ganz besonders, diesen innigen Körperkontakt, das Abtrocknen, Küssen und Schmusen. Silke besaß ganz feine Antennen für das, was ich in dieser Hinsicht nachzuholen hatte. Manchmal musste ich hastig die Tränen wegblinzeln, wenn ich meine Nase an den kleinen Kerl drückte. Wir frühstückten gemeinsam am Esstisch, während es draußen noch ganz dunkel war. Das muntere Geplapper der Kinder riss mich aus meinen trüben Gedanken. Ich hatte gar keine Zeit mehr, über meine Sorgen zu Hause nachzudenken. Es war, als wäre ich in einer völlig anderen Welt gelandet. In einem warmen kleinen Nest voller Liebe und Geborgenheit. Anschließend zogen wir mit den dick eingepackten Kindern los: Der eine Trupp trabte mit Laura in Richtung Schule, der andere mit Max in Richtung Kindergarten. Von der selbst gebastelten Laterne bis hin zu den Lebkuchenmännern, von Tupperdosen über Biosnacks bis hin zum selbst gepressten Apfelsaft – wir schleppten alles mit, was den Kindern guttat und ihnen beim Wachsen und Gedeihen half. Ich holte vieles nach, was ich mit Oliver nie hatte erleben dürfen.
    Damit war ich gut beschäftigt. Ich hatte ja keine Vorstellung davon gehabt, was es bedeutete, Mutter zu sein, drei kleine Kinder zu haben! Immer fröhlich zu sein wie Silke, alles gelassen zu nehmen, stets zu vermitteln, auszugleichen, abzulenken und sich für keine körperliche Arbeit zu schade zu sein. Zum ersten Mal in meinem Leben krabbelte ich auf allen vieren, um Spielsachen unter dem Schrank hervorzuangeln, klebrige Beruhigungssauger vom Teppich abzulösen, Legosteine einzusammeln und Breiflecken von den undenkbarsten Stellen im Raum abzuwischen. Zum ersten Mal in meinem Leben faltete ich Berge von Lätzchen, Handtüchern, Strampelanzügen, Bettwäsche und tausend Kinderklamotten, rollte Söckchen ineinander und kochte frisches Bio-Gemüse. Zum ersten Mal war ich sechzehn Stunden nonstop auf den Beinen und träumte noch nachts davon, die Milch nicht auf dem Herd anbrennen zu lassen. Doch ich lernte rasch, und schon bald hatte ich den »Oma-Eignungstest« bestanden. Nach ein paar Wochen kam ich mit Kindern und Haushalt so gut zurecht, dass Silke endlich einmal wieder allein in die Stadt fahren konnte. Sie nahm mein Angebot dankbar an, sich einen schönen Tag zu machen. Ich steckte ihr meine letzten fünfhundert Euro zu, für Weihnachtseinkäufe und einen Besuch bei der Kosmetikerin. Sie strahlte mich an, umarmte mich und lief mit wippendem Zopf zur S-Bahn.
    »Aber wenn du mich brauchst, rufst du mich auf dem Handy an!«
    »Ich schaffe das!«, versicherte ich ihr und nickte ihr aufmunternd zu. »Nicht wahr, Kinder? Die Mama fährt zum Christkind!« Diese bezaubernde junge Frau hatte wirklich nur das Allerbeste verdient. Ich hatte sie so ins Herz geschlossen! Immer häufiger beschlich mich der Gedanke, dass ich zwar keinen Sohn, aber dafür eine Tochter gefunden hatte. Und drei traumhafte Enkelkinder obendrein.
    Bald würde das vierte da sein. Ich seufzte. Romans Kind mit Vivian. Beim Gedanken an Vivian fiel mir natürlich auch Sonja ein. Noch so eine Baustelle, die ich aufräumen musste. Aber wie sagte Mutter immer so schön? »Alles zu seiner Zeit.«
    Tief in meinem Herzen gedieh trotz des harten Winters ein kleines verborgenes Pflänzchen, sprich meine Gefühle für Viktor.
    Nachdem Silke mich immer wieder dazu ermuntert hatte, fand ich irgendwann den Mut, doch einmal bei ihm vorbeizuschauen. Schließlich waren wir ja irgendwie – verwandt. Also, im weitesten Sinne. Obwohl ich mich inzwischen bei Silke für unentbehrlich hielt, schubste sie mich fast lachend zur Tür hinaus: »Jetzt geh schon und sag ihm Hallo! Der freut sich bestimmt, dich zu sehen. Und klär das Missverständnis mit Rainer auf, bevor es zu spät ist!«
    »Zu spät?« Unwillkürlich stutzte ich.
    »Na ja, ein Mann seines Kalibers bleibt auch nicht ewig allein! Nun geh schon, Carin!«
    Aber so eine war ich doch nicht! Meine Mutter hatte mir immer wieder eingeschärft: »Lauf keinem Mann nach. Wenn er nicht den ersten Schritt macht, machst du ihn

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