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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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auch nicht!« Aber streng genommen hatte Viktor ja den ersten Schritt gemacht. Indem er in Butterblum aufgetaucht war! Ich merkte, dass ich lächelte. Er hatte eine verdammt weite Reise auf sich genommen, nur um eine Stunde lang mit mir im Regen spazieren zu gehen. Ich war diejenige gewesen, die dieses Rendezvous rüde abgebrochen hatte, wenn auch gezwungenermaßen. Also war es vielleicht doch kein »plumpes Nachrennen«, wenn ich einmal unverbindlich bei ihm auftauchte? Nur weil ich zufällig gerade in der Nähe war?
    »Lass mich wenigstens Ben mitnehmen!«, flehte ich.
    Erstens konnte ich auf diese Weise Silke entlasten, und zweitens hatte ich dann wenigstens einen Grund, ihn zu besuchen: »Ich wollte dir nur mal deinen Enkel vorbeibringen! Sieh nur, wie er gewachsen ist!« Es machte einfach einen besseren Eindruck, wenn ich einen Kinderwagen dabeihatte. Es war – unverfänglicher.
    »Na gut, wenn du partout nicht mit ihm allein sein willst …« Silke drückte mir noch feixend eine goldene Dose mit selbst gebackenen Keksen in die Hand. »Dann mach eben auf Oma, Opa, Enkelkind!« Sie umarmte mich liebevoll und schickte Ben und mir noch ein paar Kusshändchen hinterher.
    Als ich mit Kinderwagen und Keksdose zur Bushaltestelle schritt, zitterten mir ein bisschen die Beine. Aber nicht nur vor Kälte. Auch vor – Vorfreude. Viktor würde Augen machen! Ich ertappte mich dabei, beim Einsteigen in den Bus bis über beide Ohren zu grinsen. Was hatte ich Billi immer um ihre Familie beneidet! Und sie dafür bewundert, wie selbstverständlich sie das alles wuppte! Jetzt ging es mir genauso. Ich war ununterbrochen auf den Beinen – ein tolles Gefühl!
    Trotzdem ging ich in Hamburg an der Alster als Erstes zum Friseur. Der vornehme, sündhaft teure Salon von Marlene Schöller lag zufällig auf dem Weg. Natürlich wollte ich todschick aus sehen. Und ein Billigfriseur am Bahnhof war eines Viktor Stillers nicht würdig. (Ich vertraute einfach meinem Überziehungskredit.) Ich wollte aussehen wie die attraktive, modebewusste Frau, die auch in mir steckte. Ich war zwar Großmutter, aber eine mit Stil und Klasse. Und keine Landpomeranze mit flachen Tretern und Topfschnitt. Ich bewunderte mich für meinen Mut, als ich den edlen Friseursalon betrat.
    Ben schlief im Kinderwagen, also deckte ich ihn nur zu und ließ ihn neben meinem Waschbecken stehen. Die Meisterin kümmerte sich höchstpersönlich um mich und zauberte mir außer schicken neuen Strähnchen auch einen modernen Schnitt. Wir unterhielten uns blendend, und sie versicherte mir immer wieder, wie jung und super ich aussähe.
    »Weg mit der spießigen Föhnwelle!«, sagte sie forsch. »Die macht Sie um Jahre älter!«
    Ben, der irgendwann wach wurde und staunend seine vielen Spiegelbilder betrachtete, wurde ausführlich geknuddelt und geherzt, und ich sonnte mich in der allgemeinen Bewunderung und Aufmerksamkeit. Keiner wollte glauben, oder täuschte es zumindest aus Höflichkeit vor, dass ich die Großmutter war! Nein, ich wäre gut und gerne als reife Mutter durchgegangen! Bei der neuen Frisur …
    Ich schenkte meinem Spiegelbild ein zufriedenes Lächeln. Was war es doch schön, ein KIND zu haben! Die Leute waren alle gleich viel herzlicher! Auch wenn meine Kreditkarte gerade den Schock ihres Lebens erlitten hatte, spiegelte ich mich selbstbewusst in den Schaufensterscheiben der Designerläden. Mit wippenden Haaren schritt ich hinter dem Kinderwagen her. Am liebsten wäre ich damit um die Alster gejoggt, um erst mal Stress abzubauen und meiner Aufregung Herrin zu werden.
    Viktor. Der würde Augen machen! Ob er mich überhaupt noch wiedererkannte? Diesmal hatte nicht Sonja Hand an mich gelegt. Diesmal trug ich keinen Tigerlook und keine todbringenden roten Stiefeletten, sondern ein natürlich-sportliches Outfit. Doch je näher ich der Villa kam, umso kleinlauter wurde ich. Die Keksdose im Kinderwagennetz klapperte munter. Carin, du bist eine Dame von Welt! Du besuchst nur den Kindsopa. Nichts Besonderes. Weil du zufällig gerade in der Nähe bist. Genau. Du gehst nämlich IMMER zu Marlies Möller. Er brauchte sich nur nicht einbilden, dass …
    Oh. Hier waren wir schon! Die Villa lag unter einer feinen Schneedecke, und in Tannen und Fichten glitzerten Lichterketten. Ob er die selbst angebracht hatte?
    »Schau mal, Ben!« Ich kniete mich neben den Kinderwagen. »Das Christkind war schon hier!« Ich konnte mich in Bens großen Augen spiegeln. Und was ich darin sah, war eine

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