Verwechseljahre: Roman (German Edition)
mir schnell die Tränen ab. Die Kinder kamen fröhlich brabbelnd in die Küche. »Bringst du uns ins Bett, grand-maman Carin?«
»Ich?« Fragend sah ich Beate an »Keine Ahnung, wie so was geht!«
Beate lachte. »Treppe rauf, Zähne putzen, Pipi machen, Kinderzimmertür auf, Kinder ins Bett, Gutenachtgeschichte, Gutenachtkuss, Licht aus, Tür zu.«
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Gutenachtgeschichte erzählen musste! Mir fiel keine ein! Das hier durfte ich auf keinen Fall verpatzen. Sie gaben mir eine Chance, und ich musste sie nutzen! Ich bekam fast schon Lampenfieber.
Silke, die gerade Klein-Ben mit der Spielorgel zur Ruhe gebracht hatte, lehnte im Flur und nickte mir aufmunternd zu.
Die Kinder legten sich artig nebeneinander und schauten mich erwartungsvoll an. Instinktiv erzählte ich, was mir meine Mutter schon als Kind erzählt hatte: Ich erzählte vom Struwwelpeter. Vom Zappelphilipp. Und von Paulinchen, das allein zu Haus war. Von Hans-Guck-in-die-Luft. Ich war überrascht, wie parat ich sämtliche Verse noch hatte!
Die Kinder staunten mit großen Augen und hielten meine Hand. Was für ein kostbarer Moment! Es war das erste Mal, dass ich Kinder ins Bett brachte. Welches Vertrauen mir entgegenschlug, welch kindliche Neugier! Wie unverhohlen sie mir zeigten, dass sie mich mochten! Mir fiel noch »Bona nox« von Mozart ein, und das sang ich ihnen ebenfalls vor. Allerdings in der entschärften Fassung (ohne »Scheiß ins Bett, dass’ kracht«). Und es funktionierte: Sie gähnten, drehten sich auf die Seite und schliefen ein.
» Bonne nuit, grand-maman Carin!«
Jedes warme, weiche Wänglein bekam noch ein großmütterliches Küsschen, und ich saugte den Duft nach Nivea, Kinderzahnpasta und Geborgenheit gierig ein. Überwältigt schlich ich aus dem Kinderzimmer. Die feinen blauen Vorhänge bauschten sich im Luftzug, das Mobile drehte sich, und schon hörte ich die regelmäßige Atmung der Kinder, als sie sich ins Reich der Träume begaben. Auf Socken schlich ich die knarrende Treppe hinunter.
»Na?«, fragte Beate, die gerade drei Weingläser polierte. »Sind sie schachmatt?«
»Sie schlafen«, gab ich fassungslos zurück. Mir kamen schon wieder die Tränen, und schnell wandte ich mich ab.
»Wie schön, dass du jetzt so viel nachholen kannst«, sagte Beate liebevoll. Sie legte mir die Hand auf die Schulter. »Genieß es einfach. Wir freuen uns, dass du da bist.«
Dann saßen wir drei Frauen am abgeräumten Esstisch und redeten über Roman. Ich ließ meinen Blick über die gemütliche Einrichtung schweifen, über die beiden Kinderstühle, den Laufstall, die Spielecke mit den Bauklötzen, Bilderbüchern und der Holzeisenbahn. Alles strahlte Liebe, Wärme, Schlichtheit aus. Mich beschlich der Gedanke, dass Roman vielleicht ein anderer ge worden wäre, wenn er in so einer Umgebung aufgewachsen wäre. Ohne Luxus, Reisen, Casinos und zu viel Geld. Wie konnte mein Sohn Roman all das nur aufgeben? Diese Liebe und Geborgenheit wegwerfen? Ver SPIELEN?
Silke und Beate erzählten mir schonungslos von seiner Spielsucht, seinen Lügen, seinem immer häufigeren Verschwinden und von den finanziellen Engpässen, in die er seine Familie gebracht hatte. Als ich sagte: »Ich schäme mich für ihn«, nahmen sie mich in den Arm und versicherten, dass es keinen Grund dafür gäbe.
»Spielsucht ist eine Krankheit«, erklärte mir Silke. »Eine genauso ernste Krankheit wie Tabletten- oder Alkoholsucht.«
Sie verteidigte ihn auch noch! Widerwillig lächelte ich sie an.
»Vor allem, wenn man bereits als Kind damit in Berührung gekommen ist wie Roman. Das hat ihn geprägt. Er ist süchtig. Er kann nichts dafür.«
»Was?«, ereiferte ich mich. »Er kann nichts dafür? Er ist ein intelligenter Kerl, und er hat sich bewusst dafür entschieden, eure Existenz zu verspielen!«
»Nein, Carin. Ich hatte beruflich viel mit Suchtkranken zu tun.«
»Ich weiß.« Ich schluckte. »Aber Roman hat nicht gerade einer Randgruppe angehört. So wie Arbeitslose, Hartz- IV -Emp fänger. Ich weiß nicht.« Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. »Ich meine, er ist doch ein hochintelligenter, gebildeter Mann mit bestem Hintergrund!«
»Spielen ist wie Alkohol und Heroin eine Droge, die süchtig macht und einen Menschen und sein familiäres Umfeld am Ende komplett zerstört.« Silke spulte das herunter, als wäre sie gar nicht persönlich davon betroffen.
»Statt die Gesundheit zu ruinieren, zerstört es den
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