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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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darin. Es sah – apart aus.
    »Da staunst du, was? Aber jetzt, wo ich bald Großmutter werde …«
    Ein Louis-Vuitton-Köfferchen schwenkend, stolzierte sie auf hochhackigen Schuhen und in einer engen Lederhose mit Nietengürtel durch meine heiligen Hallen, zerrte mich in die Damentoilette und zauberte einige Outfits hervor.
    »Er sitzt unten im Auto«, berichtete sie, Haarklammern und Toupierkamm bereits im Mund.
    »Wer?« Ich fürchtete schon, sie meinte Rainer.
    »In einem riesigen Oldtimer!«
    Fräulein Dünnbügel in der mittleren Kabine entfuhr ein Geräusch. Oh. Wir waren nicht allein.
    »Und was WILL er von dir?« Sonja tupfte mir Rouge auf die blassen Wangen und zerrte ein Kleid mit Tigermuster hervor. »Hier! Das passt dir. Hauteng.«
    »Hallo? Ich will ihn nicht anmachen, ich will mit ihm über UNSEREN SOHN sprechen.«
    » UND über den Vater MEINES Enkelkinds!« Sonja begann hektisch, mir die platt gedrückten Haare aufzutoupieren. »Da muss ja noch einiges geklärt werden, alimentetechnisch. Hier, halt mal!«
    Artig hielt ich Föhn, Heißwickler, Haarspray, Haarschaum und andere Utensilien, bis sie mir wegen Überforderung ins Waschbecken fielen.
    »Den kannst du ruhig zur Kasse bitten!« Sonja toupierte mit einer Wut, die nicht angenehm war. »Am besten, ich komme gleich mit!«
    »Nein, nein, Sonja, ich glaube, das erledige ich besser alleine …«
    Frau Dünnbügel entriegelte sich. »Oh! Gehen Sie auf eine Party?«
    »Nein, nein, ich treffe nur …«
    »Einen milliardenschweren Reeder!«, verkündete Sonja triumphierend. »Da heißt es: nicht kleckern, sondern klotzen!«
    »Tatsächlich?«, entfuhr es Frau Dünnbügel, die am Fenster stand. Sie reckte den Hals. »Vielleicht sollte ich kurz erwähnen, dass der Herr, der Ihre Mutter immer im Rollstuhl schiebt, soeben mit seinem Elektrofahrrad auf den Parkplatz gefahren kommt.«
    Von der Kirchturmuhr her läutete es sechs. Frau Dünnbügels Hals wurde lang und länger. »Er hat einen Strauß roter Rosen auf dem Gepäckträger!«
    Ich hätte vor Scham im Boden versinken können. Das war zu viel für mich, das überforderte meine weibliche Fähigkeit zum Multitasking. Was, wenn die beiden Herren auf dem Parkplatz miteinander ins Gespräch kamen?
    »Sonja … Ich flehe dich an …«
    »Woher weiß er, dass ich hier bin?« Sonja klatschte verzückt in die Hände, sah kritisch in den Spiegel, zupfte ihre silberweißen Federchen in Form und zog sich schnell die Lippen nach. »Er muss mir nachgefahren sein. Ich sage dir, der Rainer! Der weiß genau, was er will!«
    Ich musste mich zwingen, ernst zu bleiben.
    »Ja, den Eindruck habe ich auch. Was will er denn?«
    »Bei unserer letzten Pilatesstunde …« Sie pikte mir Haarklammern in den Hinterkopf. »Da haben wir uns so angesehen, und da hat es zwischen uns …«
    Ich wirbelte herum. »Sag nicht, du hast …«
    »Nicht bewegen!«
    Autsch, die Haarklammern!
    »Also, der Mann ist ja so sensibel und liebeshungrig …«
    »Sonja, ich glaube …« Ich bemühte mich um einen möglichst ruhigen Ton.
    Doch sie ließ mich gar nicht zu Wort kommen. »Sein letztes Gedicht ist ja so süß …« Sie reichte mir mit der einen Hand einen grün beschriebenen Zettel, während sie mit der anderen versuchte, meine mühsam errichtete Haarpracht zu retten: »Lies mal, ich kann jetzt nicht!«
    »Liebe,
    süßer als süß,
    bitterer als bitter,
    aber
    immer mit
    Nachgeschmack«,
    deklamierte ich mit bebender Stimme.
    Frau Dünnbügel nickte beeindruckt.
    »Nachgeschmack«, ließ Sonja sich das Wort auf der Zunge zergehen.
    »Du könntest mit ihm essen gehen!«, entfuhr es mir.
    »Genau das habe ich vor.« Sonja fuchtelte mit der Hand. »Reich mir mal die Puderquaste!«
    »Das würdest du für mich tun?«
    »Wieso denn für dich? Ich tue das für mich! Jawohl, heute ist er reif!« Sonja tupfte erst mir und dann sich Glitter in den Ausschnitt. »Der Mann muss einfach wachgeküsst werden!«
    Ich nahm ihre Hand. »Übertreib es nicht, er steht gar nicht so auf …«
    »Oh, hast du eine Ahnung! Wie der mich immer anstarrt!«
    »Äh, Sonja? Bitte sprich ihn nicht auf die Gedichte an. Sei ganz … natürlich!«
    »Nein? Aber die sind doch so süüüß! Wer kann denn heute noch … Ich meine, mit der Hand …«
    Sie zeigte Frau Dünnbügel stolz den Brief, und diese las ihn noch mal mit Lesebrille vor.
    »Ja«, sagte Frau Dünnbügel mit feuchten Augen, während sie ihre Hände unter den Händetrockner hielt. »Wer kann das heute

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