Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Geld einfach eingesackt.
Sonja und Billi nahmen seine Ankunft mit Stirnrunzeln zur Kenntnis.
Wir standen zum Vaterunser auf und gaben uns ziemlich verlegen »ein Zeichen des Friedens«. Schließlich schritten wir schweigend hinter Mutters Sarg her und liefen über den herbstlich-trüben Friedhof zu ihrem ausgehobenen Grab. Roman ging neben mir. Ich hatte mich bei ihm eingehakt. Noch einmal spähte ich unauffällig über die Trauergemeinde hinweg, ob da vielleicht noch jemand war, über dessen Anwesenheit ich mich gefreut hätte.
Aber wieso denn, Carin?, schalt ich mich. Was hat er schon mit Mutter zu tun? Das galt nur für Rainer. Er war es auch, der half, den Sarg langsam in die Grube hinunterzulassen. Damit gab er seine Stellung der Öffentlichkeit klar zu erkennen. So nach dem Motto: »Ich gehöre zur Familie.« Und das wusste inzwischen auch jeder. Es war längst selbstverständlich. Rainer und Carin. Carin und Rainer.
Nach der Trauerfeier saßen wir noch kurz in jenem Gasthof am See, aus dem wir vor wenigen Tagen so überstürzt aufgebrochen waren. Während ich Hände drückte und Trostworte über mich ergehen ließ, spähte ich zu Roman hinüber. Ich sah ihn bei Vivian stehen und lebhaft auf sie einreden. Sie wandte sich empört ab. Was sollte ich nur tun? Die Beileidsbekundungen der Leute nahm ich kaum wahr.
Billi kam zu mir, wies mit dem Kinn auf die beiden und drückte meine Hand. »Sie ist einfach zu enttäuscht.«
Ich nickte. »Das kann ich gut verstehen.«
»Sie war wirklich verknallt in ihn.«
Ich nickte immer noch. »Das kann ich auch verstehen.«
»Alle waren verknallt in ihn. Bis wir die Wahrheit wussten.«
»Wissen wir die Wahrheit?«
»Wir kennen ihn alle viel zu wenig«, sagte sie leise.
»Ich kenne ihn auch nicht.« Ich senkte den Kopf, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Hastig suchte ich nach der Sonnenbrille und setzte sie auf. »Billi! Was soll ich nur machen?«
»Ich kann dir nur sagen, was ICH machen würde.« Billi strich mir liebevoll über die Schulter und zog mich in eine ruhigere Ecke.
»Und zwar?«
»Na, was ich mit jedem Kind einmal im Jahr mache, um der Entfremdung vorzubeugen.« Sie lächelte mich ermutigend an. »Fahr eine Woche mit ihm weg. Lern ihn kennen. Hör ihm zu.« Sie drehte sich um und flüsterte mir fast schon verschwörerisch zu: »Ohne Rainer.«
Mein Herz begann zu hämmern. »Ich soll mit Roman … Aber ich habe doch gar keinen Urlaub …«
»Komm! Du hattest dreißig Jahre keinen Urlaub. Nimm dir endlich welchen!« Aus dem Streicheln wurde ein leichtes Schütteln. »Hm? Frau Dünnbügel kann dich doch vertreten!«
»Ja, aber es ist November! Wohin sollen wir denn da …«
»Das ist doch völlig unerheblich! Buch irgendeine Reise! Last minute in den Süden! Es geht doch nur darum, dass ihr euch endlich in Ruhe kennenlernt!«
»Aber …«
»Du wirst sehen, das wirkt Wunder! Gib euch eine Chance! Es ist mit Sicherheit eure letzte!«
Vivian verließ mit Sonja den Gasthof. Sonja warf mir noch einen langen Blick zu, doch ich konnte nicht erkennen, ob Wut, Ratlosigkeit oder Verachtung darin standen. Mir wurde ganz anders. Kurz darauf heulte der Porsche über den Parkplatz.
Billi verabschiedete sich, sie hatte mütterliche Pflichten. Eine Austauschschülerin aus Buenos Aires sollte in einer Stunde am Münchner Flughafen landen, und Rikki hatte noch keinen Führerschein. Mit Kind und Kegel gedachte man, die Argentinierin abzuholen.
»Was tust du dir nur alles an!«
»Für seine Kinder tut man alles. Rikki hat Spanisch-Leistungskurs, also musste die Argentinierin her.«
»Ihr Baby, die Austauschschülerin, deine Doktorarbeit … Mutest du dir nicht ein bisschen zu viel zu, meine Liebe?«
»Jetzt denk zur Abwechslung mal an dich, Carin! An dich und DEIN Kind.« Sie warf einen spöttischen Blick auf Rudi, der sich gerade von einer rassigen Schwarzhaarigen losriss: »Man wächst mit seinen Aufgaben.«
Rudi, der angeblich zurück in die Praxis musste, gab mir die Hand und sprach mir noch mal sein Beileid aus. »Du hast alles richtig gemacht, Carin.«
»So? Habe ich das?«
Am liebsten hätte ich Rudi schnippisch gefragt, ob ER alles richtig machte, aber dazu fehlte mir schlicht die Kraft. Immerhin hatte er Mutter in ihrer letzten Stunde beigestanden.
Anschließend ging ich instinktiv zu Roman hinüber, der blass an der Wand lehnte.
»Ich habe mich sehr gefreut, dass du gekommen bist.«
»Können wir jetzt gehen?«, fragte Roman leise.
»Ich
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