Verwechseljahre: Roman (German Edition)
wollte dir gerade vorschlagen …«
»Ich will nach Hause!« Roman fühlte sich sichtlich unwohl.
»Was heißt denn ›nach Hause‹?«, fragte ich.
»Na zu dir! Da ist doch jetzt ein Zimmer frei!«
Oje. Wollte ich das? Konnte ich das? Mutters Zimmer war noch warm.
Plötzlich kam mir der unschöne Gedanke, dass Roman vielleicht genau deswegen aufgetaucht war: wegen der Eigentumswohnung. Wollte er etwa heute über sein Erbe diskutieren?
Aber als ich in sein aufgewühltes Gesicht sah, schämte ich mich für meine Gedanken. Er brauchte mich. Ich war seine Mutter. Er steckte in der Klemme. Durfte ich meinem eigenen Sohn meine Wohnung verwehren? Sollte ich ihn etwa ins Hotel schicken wie einen entfernten Verwandten? Das hier war vielleicht unsere letzte Chance, einander doch noch nahezukommen. Ich war komplett verunsichert. Natürlich hörte sich das alles so leicht an aus Billis Mund. Sie hatte ja auch eine innige Beziehung zu ihren drei Wonneproppen! Sosehr die Kinder Billi auch nervten, sosehr gaben sie ihr auch Halt und Liebe. Sie ergriffen für sie Partei, wenn es um Rudis Eskapaden ging, und standen hinter ihr wie eine Eins. Sie vergötterten ihre Mutter.
Aber Roman – war ein Spieler, ein Lügner, ein Betrüger. Ein Fremder.
Ich sah, dass Rainer wenige Meter von uns entfernt stehen geblieben war. Anscheinend wartete er, ob ich Hilfe brauchte.
Ich musste eine Entscheidung treffen. Sollte ich ihn wieder ins Boot holen? Aber dann hörte das ja nie auf! Ich sah Rainer schon mit uns im Flieger sitzen. Auf dem Mittelsitz. Und Tomatensaft verspritzen.
Mit plötzlicher Entschlossenheit straffte ich die Schultern. »Komm, Roman. Wir gehen nach Hause.«
Ich lauschte diesem Satz nach. Eine Mutter sagt zu ihrem Sohn: Wir gehen NACH HAUSE . Dreißig Jahre lang hatte ich von so einem Satz geträumt. Er hörte sich wunderbar an. Meine Freundin hatte so recht: Das war genau der richtige Zeitpunkt. Die Chance für einen Neubeginn. Ich hatte von meiner Mutter Abschied genommen und konnte mich jetzt meinem Sohn zuwenden.
Rainer und ich tauschten einen langen Blick. Plötzlich hatte ich unbändige Lust, mit Roman wegzufahren. Irgendwohin, wo Rainer uns nicht finden würde. Ich würde abhauen. Aus meiner eigenen Wohnung. Mit meinem eigenen Sohn.
25
W ohin fährt man mit einem Spieler, der sich noch nicht selbst geoutet hat? Am besten nicht nach Las Vegas oder Baden-Baden. Ich tat völlig ahnungslos und stellte auch keine unangenehmen Fragen, von wegen: Schämst du dich nicht, die Tochter meiner Freundin geschwängert zu haben? Wieso hast du deinen Vater bestohlen und deine arme Frau mit drei Kindern sitzen lassen? Wieso hast du dir von meinen Freundinnen Geld geliehen, und wo hast du dich nur rumgetrieben? Das alles hätte nur die Atmosphäre vergiftet und jede weitere Annäherung verhindert. Dann wäre Roman wieder abgehauen, diesmal sicher für immer. Deshalb musste ich mich auf neutrales Terrain begeben. Keinerlei Vorwürfe im Vorfeld. Bei null anfangen. Schließlich hatten wir ja auch bei null aufgehört, damals vor dreißig Jahren.
Ehrlich gesagt hatte ich auch nicht den Mut und die Kraft für eine solche Auseinandersetzung. Nicht direkt nach dem Tod meiner Mutter.
Vielleicht würde diese Reise zu zweit ein ehrliches Gespräch zwischen Mutter und Sohn ermöglichen. Zuneigung entstehen lassen. Vertrauen.
Also tat ich so, als wäre ich eine coole, entspannte Mutter. Als ich Roman bei einer Tasse Tee und einem Butterbrot das Angebot unterbreitete, eine Woche mit ihm wegzufahren, um mal Abstand zu gewinnen und etwas Sonne zu tanken, war er sofort Feuer und Flamme.
»Allerdings bin ich gerade finanziell etwas mau«, sagte er, als ob das eine zufällige Bagatelle wäre.
»Ich lade dich natürlich ein.«
»Oh! Das ist – wahnsinnig nett von dir, MUTTER .«
Dieses Wort klang fremd aus seinem Mund, ja fast ein bisschen zynisch. Oder war es nur Verlegenheit?
»Carin. Bleiben wir bei Carin.«
»Wie du willst – Carin.« Er prostete mir mit seiner Teetasse zu. »Ist das quasi auch eine Einladung von …« Er wies mit dem Kopf zu Mutters ehemaligem Zimmer. »Von Paula?!«
Ein bisschen makaber war das schon.
»Sie hätte sich bestimmt gewünscht, dass wir uns näherkommen.« Ich rührte in meiner Teetasse. »Wohin möchtest du denn gern?«
»In südliche Gefilde.«
»Ja. Daran hatte ich auch gedacht.«
»Kennst du das Gedicht von Rainer Maria …?«
»Was?«, unterbrach ich Roman entsetzt. »Du meinst
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