Verwesung
Mein Mandant hat freiwillig zugestimmt, bei der Suche mitzuarbeiten. Ich glaube kaum, dass es erforderlich ist, tätlich gegen ihn zu werden.»
Er hatte eine dünne, nasale Stimme, die gleichzeitig gelangweilt und schleimig klang. Er war Mitte fünfzig und hatte dünnes graues Haar, das er sich über die kahlen Stellen an seinem Kopf gekämmt hatte. Sein Aktenkoffer wirkte zu den Gummistiefeln und der Regenjacke lächerlich fehl am Platz.
«Niemand wird hier tätlich», blaffte Terry. Er warf dem bärtigen Wachmann einen finsteren Blick zu. Grollend ließ der Mann Monks Arm los.
«Danke», sagte der Anwalt. «Bitte fahren Sie fort.»
Terrys Kiefer zuckte. Er beorderte die Wachen mit einer ruckartigen Kopfbewegung heran. «Bringt ihn her.»
«Verpisst euch!», brüllte Monk die Vollzugsbeamten an, die versuchten, ihn festzuhalten. In seinen leeren Augen lag ein manischer Blick. Ich schaute benommen zu und wollte nicht glauben, dass die Sache so schnell aus dem Ruder laufen konnte. Ich wartete darauf, dass Terry etwas tat, dass er das Kommando übernahm, doch er wirkte wie gelähmt. Der Moment zog sich in die Länge und drohte in Gewalt umzuschlagen.
Und dann trat Sophie vor. «Hi, ich bin Sophie Keller»,sagte sie locker. «Ich werde Ihnen helfen, die Gräber zu finden.»
Für einen Augenblick gab es keine Reaktion. Dann schnellte Monks Blick von Terry zu ihr. Seine Augen blinzelten kurz, während er nach Worten suchte. «Ich brauche keine Hilfe.»
«Gut, das macht es für uns alle wesentlich einfacher. Aber falls Sie Hilfe brauchen, ich bin hier, okay?» Sie lächelte ihn an, und ihr Lächeln war weder flirtend noch nervös, sondern völlig normal und alltäglich. «Ach, und Sie werden wahrscheinlich die Fußfesseln ablegen wollen. Mit diesen Dingern werden Sie nicht weit kommen.»
Immer noch lächelnd, wandte sie sich an Terry. Die anderen Polizisten tauschten Blicke aus. Terrys Gesicht war rot, als er den Wachmännern zunickte. «Nur die Beine. Die Handschellen bleiben dran.»
Seine Worte klangen bestimmend, doch jeder wusste, dass nicht viel gefehlt hatte, und er hätte die Kontrolle verloren. Ich sah, wie Roper nervös zu Terry schaute, der versuchte, sich wieder einen Anschein von Autorität zu geben. Wer weiß, wie die Sache ohne Sophie ausgegangen wäre. Sie hatte nicht nur die Situation entschärft, es war ihr auch gelungen, zumindest eine vorsichtige Beziehung zu Monk herzustellen. Nach seinem Ausbruch vor wenigen Augenblicken wirkte der Häftling nun mürrisch, aber gebändigt. Als er den Weg entlanggeführt wurde, drehte sich sein massiger Schädel zu Sophie um.
«Sieht so aus, als hätte Miss Keller ein neues Haustier», sagte Wainwright, während wir den anderen folgten. In der kalten Morgenluft dampfte unser Atem.
«Sie hat genau das Richtige getan.» Terry war nichtder Einzige, der gerade sein Gesicht verloren hatte, dachte ich.
«Finden Sie?» Wainwright beobachtete die anderen missgünstig. «Hoffen wir nur, dass es sie nicht beißt.»
Das Moor schien alles zu tun, um uns zu behindern. Die Temperatur fiel ungefähr zur gleichen Zeit, wie der Regen einsetzte. Er peitschte die Grashalme und das Heidekraut, ein trister, monotoner Guss, der nicht nur den Körper abkühlte, sondern einem auch jede Energie raubte.
Jerome Monk schien immun dagegen zu sein. Er stand neben Tina Williams’ leerem Grab, der Regen lief ihm über den kahlen Schädel und tropfte ihm vom Gesicht, das wie ein Wasserspeier einer mittelalterlichen Kirche aussah. Offenbar bemerkte er das Unwetter gar nicht.
Was von uns anderen nicht gesagt werden konnte.
«Das ist doch sinnlos!», fluchte Wainwright und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Der Archäologe hatte sich einen Overall übergezogen, in dem er noch fülliger wirkte. Inzwischen war der weiße Stoff schlammverschmiert und sah genauso strapaziert aus, wie Wainwrights Nerven es vermutlich waren.
Im diesem Moment konnte ich mit ihm fühlen. Mein Overall lag so eng an den Handgelenken und am Hals an, dass ich trotz der Kälte schwitzte. Der Regen tropfte von der Kapuze, ein beständiges Rinnsal, das schließlich den Weg ins Innere fand. Das Gebiet um die Grabstätte war noch immer mit Polizeiband abgesperrt, doch das Zelt der Spurensicherung war bereits abgebaut, und die leere Kuhle hatte sich mit schlammigem Wasser gefüllt. Seit ich das letzte Mal hier draußen gewesen war, hatten das schlechte Wetter und daskonstante Herumgetrampel den Boden in einen
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