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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Die nichtadligen Stände – Geistlichkeit, Bürger und Bauern – hatten auch die mit dem großen Krieg entstandene, fast permanente Notlage ausnutzen können, um die Macht des Reichstags zu erweitern. Stillschweigend war sein alleiniges Recht auf die gesamte Gesetzgebung anerkannt worden. Es wurde auch als passend angesehen, den Reichstag alle neuen Steuern und Aushebungen bewilligen zu lassen, und Krieg konnte ohne die Zustimmung dieser Versammlung nicht begonnen werden. Zu keinem Zeitpunkt konnten die Regenten oder die Aristokraten im Rat in reine und rohe Willkürpolitik verfallen. Selbst in den Momenten ihrer größten Machtvollkommenheit fürchteten sie sich vor dem, was jene 95 Prozent der Bevölkerung anstellen könnten, wenn man sie zu sehr in die Enge trieb. Der Große Aufruhr – mit allem, was das bedeutete: brennende Herrenhäuser und abgeschlagene, fahle Köpfe, die wie Angelkorken über der lärmenden, von aufgereckten Fäusten durchbrochenen Oberfläche einer erregten Volksmasse wippen – war ein Albtraum, der dem schwedischen Adel keine Ruhe ließ. Gleichzeitig dachten die Bauern ihrerseits mit Entsetzen an das, was der Adel sich einfallen lassen konnte. Auch wenn ein Bauer oft keine wirtschaftlichen Einbußen erlitt dadurch, dass er unter einen Adligen kam, gab es unter den Bauern Befürchtungen, dass dies zum Verlust ihres Rechts auf Vertretung auf dem Reichstag führen könnte – es war meistens der Adel selbst, der dort für seine Bauern sprach. Was würde geschehen, wenn der Adel den größten Teil des Bodens im Reich übernommen und die Bauern aus dem Reichstag verdrängt hatte? Was war nun zu erwarten, wo immer mehr deutsche und baltische Adlige ins Reich zogen, raubeinige Leute, die gewöhnt waren, ihre Bauern wie ihr persönliches Eigentum zu behandeln? Der Krieg hatte eine wirtschaftliche und politische Machtverschiebung großen Ausmaßes in Gang gesetzt. Die schwedischen Bauern hatten ihren eigenen Albtraum, der später so formuliert wurde:
    Wir wissen, daß die Landbevölkerung in anderen Ländern versklavt ist, und befürchten, daß dies auch uns widerfahren wird, obgleich wir frei geboren sind. Früher konnten wir, wenn die Not groß wurde, unsere Häuser verlassen, doch nun ist das ganze Reich unter dem Adel, und wir werden an dem einen Ort nicht besser behandelt als an dem anderen.
    Es rumorte dumpf unter den Bauern in Svea Rike. Die Erschütterungen lagen noch fern und unter der Oberfläche, aber würde es so bleiben? Rundum in Europa war es unter Bauern und kleinen Leuten zu Aufständen gekommen, in Spanien und Portugal, in Polen und der Ukraine, auf den Britischen Inseln, in Russland, in Frankreich. (Im nordwestlichen Frankreich war gerade die
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Revolte ausgefochten worden, dicht gefolgt von einem großen Aufruhr in Rouen, den die Behörden erst in diesem Jahr, 1640 , niederschlagen konnten, und das nur nach einer regelrechten Feldschlacht, die mehrere Stunden gedauert hatte.) Die Ursache war in den meisten Fällen der Unfriede; um Mittel für die Weiterführung dieses ungeheuren Krieges zu bekommen, waren die Machthaber überall gezwungen, die Steuern und Zusatzabgaben bis an die Schmerzgrenze zu erhöhen. Der Krieg ging weiter, und Gerüchte ließen auch vermuten, dass hier und da neue Revolten bevorstanden, und die Regierenden in allen Ländern warfen nervöse Blicke über einen Kontinent, der erbebte. Und warum sollte diese Unruhe nicht Schweden erreichen?
    Über die Städte und ihre Bewohner ist weniger zu sagen, aus dem einfachen Grund, weil ihre Zahl bedeutend geringer war. Schweden war ein Reich von Wald und Acker und Wiese und wieder Wald und Schwendeland und noch einmal Wald und Weideland und Wald, an dessen Rändern die eine oder andere kleine Stadt aus Holzhäusern auftauchte. Selbst die Orte, die als glitzernde Juwelen in der Krone des Reiches galten, waren recht unscheinbar, zumindest mit modernen Maßen gemessen. Stockholm mit seinen 20 000 Einwohnern stellte natürlich eine Kategorie für sich dar, doch die fünf größten Städte des Reiches neben der Hauptstadt – also Norrköping, Viborg, Åbo, Göteborg und Uppsala – hatten alle zwischen 3000 und 5000 Einwohner. Die übrigen Orte waren gering an Zahl und klein. Dies störte die Regenten und Räte, denn ihnen lag viel an Städten, weil Städte Handel bedeuteten und Handel Geld, und Geld bedeutete Steuereinnahmen in der Form, die sie am dringendsten brauchten, als bare Münze – denn es war

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