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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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weshalb die Bestattung als eine Aufgabe der örtlichen Zivilbevölkerung angesehen wurde, vorausgesetzt, eine solche existierte noch.) Die Västgöter machten keine Ausnahme, sie murrten, und einer von ihnen rief laut: «Mag der Teufel sowohl arbeiten als fechten.» Printz stürzte sich mit dem Degen auf den Mann, um ihn zu bestrafen, aber da scharten sich alle Reiter um ihn, und der Oberstleutnant war gezwungen, sich auf sein Pferd zu werfen und die Flucht zu ergreifen. Später gelang es Printz, den aufsässigen Västgöter festzusetzen, doch da stürmten an die hundert Reiter den Kerker, verprügelten den Profos und befreiten ihren Kameraden.
    Ende April wurde Chemnitz von einem kaiserlichen Verband von über 8000 Mann unter Eduard von Braganza angegriffen. Nach fünf Tagen und Nächten ununterbrochener Kämpfe und Erstürmungsversuche waren die Västgöter am Ende ihrer Kräfte – man konnte Reiter sehen, die so erschöpft waren, dass sie durch den Rückstoß beim Abfeuern ihrer Musketen von den Mauern herabpurzelten. Ganze Gruppen von Soldaten ließen ihre Posten im Stich, und die Offiziere mussten sie unter Androhung von Waffengewalt zurücktreiben. Doch schließlich machten die Reiter Printz in aller Form ihre Aufwartung und forderten, dass man aufgeben solle, da niemandem damit gedient sei, wenn sie alle stürben «wie Schafe». (Die Bürger der Stadt wollten auch ein rasches Ende der Kämpfe und um jeden Preis einen Sturm auf die Stadt vermeiden, der unausweichlich eine allgemeine Plünderung nach sich gezogen hätte; auch sie forderten einen Kompromiss und hinderten die Reiter am Fortkommen auf den Straßen der Stadt.) Mit so entmutigten Soldaten gegen einen so übermächtigen Feind zu kämpfen, war unmöglich, und es wurde beschlossen zu kapitulieren. Die västgötischen Reiter wurden ihrer Fahnen, Pferde und Waffen beraubt und wie Weidevieh in Richtung der schwedischen Linien nach Norden getrieben. Die zusammengeschmolzene, demoralisierte Truppe wurde dann auf zwei Schiffen nach Kalmar verfrachtet. Printz, seine Ehefrau, Kinder und bewegliche Habe wurden von den schwedischen Armeebehörden unter Arrest genommen, und anschließend wurde er vom Kriegsgericht in Stockholm hochnotpeinlich vernommen. Der Rat beschloss danach, ihn «aus dem Regiment zu entfernen» – doch erlebte er einige Zeit später ein denkwürdiges Comeback als Gouverneur der schwedischen Kolonie in Amerika.
    In der Hauptarmee war die Stimmung, wie zu erwarten war, am schlechtesten unter den launischen und eigenwilligen Bernhardinern. Eines Tages hielten einige von ihnen die goldgeschmückte Karosse des französischen Oberbefehlshabers de Longueville an, richteten ihre geladenen Pistolen auf ihn und zwangen ihn, eine Zusicherung zu unterschreiben, dass sie bald den wie immer verspäteten Sold bekommen sollten. Anfang August meuterten sie regelrecht, wurden aber mit Hilfe neuer Geldsendungen wieder beschwichtigt. Auch die hessischen und lüneburgischen Soldaten waren unzufrieden, aber sie hatten es näher nach Hause, weshalb sie in solchen Mengen desertierten, dass Mitte Juni nur noch gut ein Drittel von ihnen übrig war – ihre Mannschaftsstärke war so gering, dass sie Schwierigkeiten hatten, einen geregelten Wachdienst aufrechtzuerhalten. Als kaiserliche Verbände später sich ihren Heimatländern zu nähern begannen, verschwanden auch die hessischen und lüneburgischen Offiziere eilig von ihren Posten; sie reisten ganz einfach nach Hause unter dem Vorwand, ihre «privaten Angelegenheiten» zu ordnen. So hatten die hessischen und lüneburgischen Kompanien, als es auf den Herbst zuging, nur noch eine rein kameralistische Existenz. In vielen Fällen war nichts weiter von ihnen übrig als ihre zurückgelassenen Fahnen.
    Als die übliche Kampfsaison Ende Oktober ihrem Ende zuging und der regnerische Sommer in einen windigen und nasskalten Herbst überging, standen die beiden gegnerischen Armeen in den Grenzgebieten zwischen Westfalen und Lüneburg, rund 200 Kilometer von den Ausgangspositionen des Frühlings entfernt. Keine von ihnen hatte etwas erreicht. Keine von ihnen hatte etwas gewonnen, das auch nur entfernt als Sieg bezeichnet werden konnte. Keine von ihnen war einer militärischen Entscheidung einen Schritt näher gekommen. Nur das große Rad hatte sich weitergedreht, die Armeen waren verschlissen und bedeutende Teile von ihnen nun in flachen Gräbern über ganz Franken verscharrt. Es war eine sinnlose Vergeudung von Menschenleben,

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