Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
männliche Erziehung, die sie erhielt, damit reagierte, dass sie sich praktisch von ihrem eigenen Geschlecht abwandte und versuchte, dem anderen nachzueifern, um irgendwie zu dem tatkräftigen Jungen zu Pferd zu werden, der sie eigentlich hätte sein sollen. Ihr muss dies als der einzige Ausweg aus einer im Grunde unmöglichen Situation erschienen sein. Doch erst mit ihrer Mündigerklärung wurden all diese Probleme auf die Spitze getrieben. Bis dahin war sie in vielfacher Hinsicht ein Gast in dieser Männerwirklichkeit gewesen, sozusagen auf Studienbesuch; von ihrem 18 . Geburtstag an stand sie plötzlich in deren Mitte. Wenn aber jemand unter den Aristokraten des Rates geglaubt hatte, die junge Frau werde ein dummes und leicht zu lenkendes kleines Frauenzimmer sein, das sich brav in ihre gehorsame Marionette verwandeln ließe, wurde er auf jeden Fall enttäuscht.
Anfang Dezember 1644 wurde ein Reichstag nach Stockholm einberufen, und am 7 . Dezember, nachdem der Reichskanzler einen selbstbewussten Rechenschaftsbericht über die von ihm geführte Vormundschaftsregierung abgegeben hatte, ging das Wort an die 18 -jährige Christina. Sie erklärte, sie sei mit der Amtsführung der Regierung zufrieden, und später am gleichen Tag legte sie ihre mit Spannung erwartete Königsversicherung ab. Die Zuhörer bemerkten sogleich, dass diese keineswegs so bindend war wie jene, die ihr Vater Gustav Adolf 1611 abgegeben hatte. Bemerkenswert war auch, dass sie keine Anerkennung der Regierungsform von 1634 enthielt, Axel Oxenstiernas großem Werk, in dem die «gemischte Monarchie» kodifiziert worden war. Christina versprach, diese zu respektieren, wollte sie jedoch für den Augenblick nicht «zu einem ewigen Gesetz» erheben. Diejenigen, die ihren angefeuchteten Zeigefinger in die großpolitischen Lüfte streckten, meinten zu erahnen, dass der Wind bald aus einer anderen Richtung wehen würde.
2 . Die große Schlacht bei Fehmarn
Nimmt der Krieg eine Wendung? – Der Zustand der Flotte – Noch eine Offensive zur See – Eine Überrumpelung – Im Zangengriff bei Fehmarn – Schock in Dänemark – Beide Seiten bekunden Friedensbereitschaft – Verhandlungsbeginn in Brömsebro – Rynings Flotte verlässt Stockholm – … und Erik reist mit – ‹Alle menschliche Kraft war nun am Ende› – Hans Grefft wird lebend geröstet – Erik trifft Wrangel – Über Carl Gustav Wrangel
Mit großer Energie, nicht unerheblicher Geschicklichkeit und einem Quäntchen Glück hatten König Christian und seine Streitkräfte den schwedischen Würgegriff gelockert. Die Lage war unbestreitbar verzweifelt gewesen nach Torstenssons unerwartetem Überfall und Horns Siegeszug in Schonen, aber im Herbst 1644 schien das Blatt sich gewendet zu haben. Alle Versuche der Schweden, die Vorherrschaft über die dänischen Gewässer zu erzwingen, waren gescheitert, und die schwedische Flotte war nach Stockholm zurückgekehrt. Die langsamen Pirouetten des kaiserlichen Heeres im südlichen Dänemark hatten Torstenssons Armee veranlasst, Jütland zu verlassen und sich wieder den deutschen Landen zuzuwenden. Jämtland war zurückerobert und Horns Armee Schritt für Schritt ausmanövriert worden, sodass Småland nun offen dalag für eine dänische Invasion. In Norwegen stand der rührige Hannibal Sehested im Begriff, eine Offensive gegen Värmland und Dalsland zu beginnen. Der schwedische Blitzkrieg war gescheitert. Und ganz wie erwartet hatten die Franzosen begonnen, finstere Mienen aufzusetzen, weil die Armee, die sie dafür bezahlten, den Kaiser in Wien zu bekriegen, eingesetzt wurde, um den König in Kopenhagen zu bekriegen; sie drohten mit der Einstellung der Subsidienzahlungen an Schweden.
Alles schien sich zugunsten Dänemarks zu wenden. Was die dänische Führung allerdings nicht ahnte, war, dass die schwedische Flotte nicht in den Winterhafen gegangen war, sondern zurückzukehren beabsichtigte. Sie war aber in einem betrüblichen Zustand nach der Kampagne des Sommers in den dänischen Gewässern. Viele der Schiffe waren stark in Mitleidenschaft gezogen, ein Teil der Kanonen war zerstört; außerdem wüteten schwere Krankheiten unter den Besatzungen. Herrschten schon in den großen Feldlagern an Land in der Regel katastrophale hygienische Verhältnisse, so war es an Bord der Schiffe, wo große Menschenmengen in engen, ungelüfteten Räumen zusammenlebten, fast noch schlimmer. In diesen nach Urin und Kot stinkenden Kästen aus Eichenholz breiteten sich
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