Verzehrende Leidenschaft
einen Moment, dann bekommt Ihr sie gleich. Ich kann Euch zwar nicht sagen warum, aber das Kind darf nicht auf die Straße.«
»Ihr seid wohl nicht recht bei Trost! Sie will doch nur zu ihrem Vater.«
In dem Moment war auch der hagere junge Mann bei ihnen angekommen und begann, mit Tavig, der die Kleine noch immer festhielt, zu kämpfen. Tavig sah Moiras Gesicht in der immer dichter werdenden Menschenmenge. Sie wirkte zwar blass und verängstigt, versuchte aber trotzdem, die Leute von ihm fernzuhalten. Das war für ihn ein Beweis, dass sie an seine Hellsichtigkeit glaubte, egal, wie wenig sie ihr gefiel. Tavig wusste, dass sie wohl nie verstehen würde, was ihm das bedeutete.
Als er schon befürchtete, das inzwischen laut kreischende Kind nicht mehr halten zu können, erhob sich plötzlich ein donnerndes Geräusch, das die Aufmerksamkeit der Leute von ihm abzog. Auch die Eltern des Kindes wandten sich dem Getöse zu. Ein großer Trupp Bewaffneter galoppierte vom Turm des Lairds kommend die Straße hinab. Sie preschten in einer riesigen Staubwolke ohne Rücksicht auf Verluste durch den Ort und verlangsamten ihr Tempo für nichts und niemand auf ihrem Weg. Ein alter Mann wurde zur Seite geschleudert, mehrere Hühner fanden den Tod unter den Hufen der Pferde. Jetzt wusste Tavig, warum er den Drang verspürt hatte, das Kind von der Straße fernzuhalten. Die Kleine hätte es nie rechtzeitig auf die andere Seite geschafft, die finsteren Bewaffneten wären einfach über sie hinweggaloppiert.
Die Männer ritten weiter und verschwanden in dem Wald, der das Dorf umgab. Als sie nicht mehr zu sehen waren, herrschte noch eine ganze Weile angespannte Stille. Die Leute drehten sich alle zu Tavig um und starrten ihn an. Tavig übergab das Kind seinen Eltern. Er spürte, wie Moira seine Hand nahm. Die Gesichter der Leute zeigten Argwohn und Angst. Tavig wünschte sich, er hätte Moira nie hierhergebracht.
»Hexerei!«, flüsterte eine Alte.
»Nay!«, fauchte Moira. »Alte Närrin! Er hat die Männer kommen sehen.«
»Er wusste, was passieren würde«, sagte eine rundliche, grauhaarige Frau und deutete vorwurfsvoll auf Tavig. »Niemand sonst hat diese Männer gesehen. Er ist ein Hexer.«
»Seht zu, dass Ihr von hier wegkommt, Moira«, befahl Tavig und schob sie weg. »Haut ab, Mädchen!«
»Ich kann Euch nicht im Stich lassen, ich bleibe hier«, protestierte sie.
»Rennt um Euer Leben, törichtes Ding!«, fauchte er, wusste jedoch, dass es zu spät war. »Die Frau hat nichts damit zu tun«, rief er, als die Leute sie umzingelten und Moira und ihn packten. »Lasst sie los!«
Er kämpfte gegen die zwei Männer, die ihn festhielten, doch die zwei bekamen rasch Verstärkung. Ein stämmiger Kerl hielt Moira grob fest. Dieser Anblick erzürnte Tavig derart, dass er sich umso heftiger gegen seine Häscher wehrte. Einer der Männer holte mit einem dicken Knüppel aus. Tavig wappnete sich gegen den Schlag.
Moira schrie auf, als der Bursche Tavig mit dem Knüppel am Kopf traf. Blut lief ihm über die Stirn, und er brach vor seinen Häschern zusammen. Moira versuchte, sich dem großen Kerl zu entwinden, der sie festhielt, doch dieser verstärkte nur seinen Griff.
»Halt ruhig, Hexe, sonst wirst du genauso behandelt wie dein Mann«, knurrte er.
Moira bezweifelte nicht, dass der Mann seine Drohung in die Tat umsetzen würde. Sie gab nach und wagte kaum noch zu atmen. Ein junger Mann zog einen eifrigen kleinen Kerl herbei, der entschied, dass sie und Tavig im Vorratskeller des Gasthauses eingesperrt werden sollten, bis der Priester das nächste Mal ins Dorf kam – in etwa zwei Wochen.
Der Wirt vermied es, ihnen in die Augen zu sehen, als er eine im Fußboden eingelassene Luke aufschob. Die Leute warteten nicht einmal darauf, dass er eine Leiter herbeischaffte, sie stießen Moira in das Loch, sodass sie unsanft auf dem festgestampften Lehmboden landete. Es verschlug ihr den Atem; doch obwohl sie nicht wusste, ob sie sich bei dem Sturz ernsthaft verletzt hatte, kroch sie eilig zur Seite, als der bewusstlose Tavig nach ihr heruntergeworfen wurde. Als die Luke zugeschoben wurde, schrie sie laut auf, doch niemand beachtete sie. Tiefe Dunkelheit senkte sich auf das finstere Loch.
Moira kämpfte gegen die Panik an und untersuchte sich, so gut es im Dunkeln ging. Zu ihrer großen Erleichterung stellte sie keinen Knochenbruch fest, sie hatte wohl bloß ein paar blaue Flecken abbekommen. Vorsichtig tastete sie sich durch die Dunkelheit, bis
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