Verzehrende Leidenschaft
sie auf Tavigs regungslosen Körper stieß. Auch ihn suchte sie vorsichtig von oben bis unten ab, bis sie sicher war, dass auch seine Knochen heil geblieben waren. Die Wunde an seinem Kopf fühlte sich klebrig an, aber offenbar war das Blut schon geronnen. Moira hoffte inständig, dass ihre Vermutung richtig war und es sich nur um eine kleinere Blessur handelte, sodass er bald wieder aufwachen würde.
Es überlief sie eiskalt, als etwas an ihr vorbeihuschte und so laut raschelte, dass es im Dunkeln widerhallte. Sie hasste Ratten, vor allem, wenn man sie hören, aber nicht sehen konnte. Sie wunderte sich, dass sie nicht vor Entsetzen gelähmt war. Ihr Vormund hatte sie oft tagelang eingesperrt, weshalb sie große Angst vor dunklen Orten hatte. Auch jetzt hinterließ die Angst einen bitteren Geschmack in ihrem Mund, aber immerhin konnte sie noch klar denken, vielleicht, weil sie nicht allein war.
Verzagt ergriff sie Tavigs schlaffe Hand und kuschelte sich an ihn. Sie konnte nur hoffen, dass er bald aufwachte.
* * *
Es dauerte eine ganze Weile, bis Tavig stöhnend und fluchend zur Besinnung kam. Obwohl sein Kopf auf etwas Weichem lag, tobte ein grausamer Schmerz hinter seinen Schläfen. Er spürte eine kühle, leicht schwielige, kleine Hand, die ihm sanft über die Stirn strich. Plötzlich erinnerte er sich deutlich daran, was passiert war. Als er die Augen aufschlug in der Erwartung, Moira zu sehen, war alles um ihn dunkel. Er hatte schon die schlimmsten Befürchtungen, bis ihm klar wurde, dass der Schlag auf seinen Kopf nicht seine Sicht beeinträchtigt hatte, sondern er sich nur an einem sehr dunklen Ort befand. Er wollte sich bewegen, doch dann blieb er einfach, wo er war. Er wunderte sich, wie besänftigend sich Moiras Berührung anfühlte, jeder Strich ihrer Finger linderte seine Schmerzen.
»Ich hätte dieses elende Gör in den Tod tappen lassen sollen«, murrte er.
»Nay«, entgegnete Moira. »Sie wäre umgekommen, und Ihr hättet Euch schreckliche Vorwürfe gemacht, weil Ihr wusstet, dass Ihr es hättet verhindern können. Wie geht es Eurem Kopf?«
»Er fühlt sich an, als wäre er gespalten.« Er schnitt eine Grimasse. »Aber die stechenden Schmerzen lassen schon nach.«
»Keine Sorge, er ist heil geblieben. Selbst ein dicker Knüppel schafft es nicht, einen solch harten Schädel zu spalten.«
»Danke. Wo sind wir? Einen Moment lang hatte ich Angst, ich wäre erblindet, denn als ich die Augen aufschlug, habe ich nichts gesehen. Es ist verflucht dunkel.«
»Wir sind in einen Vorratskeller unter dem Gasthaus gestoßen worden. Ich fürchte, wir sollen hier festgehalten werden, bis ein Priester sein Urteil über uns fällt. Und dazu wird es wohl erst in etwa zwei Wochen kommen.« Sie schauderte. Tavig tastete nach ihrer Hand. »Ich glaube, hier unten gibt es Ratten«, wisperte sie.
»Höchstwahrscheinlich, aber sie werden uns nichts tun, solange einer von uns wach bleibt. Wenn der Wirt hier seine Vorräte lagert, werden sie sicher genug zu futtern haben und müssen uns nicht anknabbern.«
»Sprecht nicht von solchen Dingen!« Ihre Blicke irrten herum, obwohl sie in dem Dunkel nichts sehen konnte.
»Na ja, immerhin habe ich uns ein Dach über dem Kopf besorgt.« Er verzog das Gesicht, als er langsam versuchte, sich aufzusetzen; doch gleich darauf entspannte er sich wieder, denn seine Kopfschmerzen waren von der Bewegung nicht schlimmer geworden, was ihn einigermaßen verwunderte. »Das war ein schlechter Scherz. Verzeiht mir, meine Liebe.«
»Wie fast alle Eure Scherze«, murmelte sie, allerdings, ohne ihm richtig böse zu sein. Sie starrte stirnrunzelnd auf die Luke, durch die sie hindurchgestoßen worden waren. »Denkt Ihr, sie werden uns mit Wasser und Nahrung versorgen?«
»Bestimmt, wenn auch vielleicht nicht mit so viel, wie uns recht wäre. Aber schließlich wollen sie uns am Leben erhalten, damit wir das göttliche Urteil des Priesters vernehmen. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass der allseits gefürchtete Laird von der Sache erfährt und ein Urteil über uns fällen will.«
»So, wie Ihr klingt, haltet Ihr das wohl nicht für besonders gut«, erwiderte sie verzagt.
Er nahm sie in die Arme, und sie lehnte sich an ihn. »Ein Priester ist in seinem Urteil vielleicht härter als ein Laird«, gab sie zu bedenken.
Er legte sachte den Kopf auf den ihren. »Das mag schon sein, aber womöglich gilt es nicht für diesen Ort. Erinnert Euch, was die Leute über ihren Laird behauptet
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