Verzehrende Leidenschaft
Prüfungen, bei denen man etwas Gefährliches tun und es unbeschadet überstehen musste.
Als der Priester zwei Männern befahl, ihr die Stiefel auszuziehen, entfuhr ihr ein leiser Angstschrei, obwohl sie sich die größte Mühe gab, tapfer zu sein. Jetzt wusste sie, warum die Männer auf dem freigeräumten Platz heiße Steine und glühende Kohlen verteilt hatten. Der unbarmherzige Pater Matthew wollte, dass sie darüber lief, um ihre Unschuld zu beweisen. Wenn ihre Füße nach diesem qualvollen Gang schlimme Verbrennungen aufwiesen, würde er sie reinen Gewissens zum Tode verurteilen.
Als zwei Männer sie aus der Kirche zerrten, beschloss Moira, dass sie keine Lust mehr hatte, so zu tun, als sei sie tapfer. Sie wehrte sich, ließ die Füße schleifen und bedachte ihre Häscher mit den wüstesten Beschimpfungen, die ihr je zu Ohren gekommen waren. Der Priester ging hinter ihr her und schalt sie in einer dumpfen, frömmlerischen Stimme für ihren Mangel an Glauben und ihre unflätigen Worte. Moira wünschte sich, sie könnte sich losreißen, um ihn zu ohrfeigen, doch dann bat sie Gott um Verzeihung für das, was er womöglich für eine Lästerung halten würde. In ihrem kurzen Gebet schloss sie auch den Wunsch ein, er möge sich einen bestimmten Priester näher ansehen, der sich ganz offenkundig wenig christlich verhielt.
Als sie vor der Fläche mit den glühenden Kohlen stand, verließ sie ihr letzter Mut. Sie warf noch einen Blick auf die Menge, die sich vor der Kirche versammelt hatte. Tavig war zusammengesunken, nachdem einer seiner Bewacher ihn mit einer Keule auf den Kopf geschlagen hatte, um seiner heftigen Gegenwehr ein Ende zu bereiten. Robert und Mary versuchten noch immer, ihre Freunde und Nachbarn zur Vernunft zu bringen. Die Mienen der Dorfbewohner zeigten zwar, wie unsicher sie geworden waren, doch kein Einziger erhob Einspruch. Jeanne kostete jeden Moment ihres Triumphs in vollen Zügen aus.
»Und jetzt, Hexe, lauf darüber!«, befahl der Priester und deutete auf die glühenden Kohlen.
»Es ist klar, dass Ihr mich bereits für schuldig befunden habt, auch wenn Ihr mir noch eine Prüfung anbietet, um meine Unschuld zu beweisen.« Moira schüttelte den Kopf. Sie hoffte nur, dass der relativ ruhige Ton ihrer Stimme die anderen genügend ablenkte, dass sie den Angstschweiß auf ihrer Stirn nicht bemerkten. »Ihr habt mich bereits verurteilt. Diese Prüfung dient einzig und allein dazu, mir noch mehr Schmerzen zuzufügen.«
»Lauf! Wenn du mit heilen Füßen auf der anderen Seite ankommst, dann hat Gott dich für unschuldig befunden.«
»Wenn Gott sein Urteil gefällt hat, hoffe ich, dass er sich noch einmal gründlich ein paar derjenigen vorknöpft, die behaupten, seine Diener zu sein.«
Sie atmete tief durch, dann löste sie sich aus dem Griff ihrer Bewacher. Tavig, der inzwischen wieder bei Bewusstsein war, schrie gellend auf, als sie ihren ersten Tritt auf den schwelenden Pfad setzte, den sie ablaufen musste. Da ihre Hände noch gefesselt waren, durfte sie nicht zu schnell laufen, um nicht einen Sturz zu riskieren. Außerdem würde der Priester die Prüfung vermutlich für ungültig erklären, wenn sie rannte, und sie den ganzen Weg noch einmal abgehen lassen. Entschlossen blickte sie auf das Ende des glühend heißen Pfades.
Die Hitze drang in ihre Fußsohlen. Moira staunte, dass sie sie zwar spürte, jedoch keine richtigen Schmerzen empfand. Sie fragte sich, ob ihr Verstand sich wohl auf irgendeine Weise dagegen wehrte, die Höllenqualen zu registrieren, die sie erlitt.
Als sie endlich auf die kühle Erde am Ende des Weges trat, starrte sie auf ihre Füße und wunderte sich, dass sie nicht rauchten. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie sich das Ganze vielleicht nur eingebildet hatte; doch ein rascher Blick auf die Stelle mit den Steinen und den Kohlen zeigte ihr, dass sie tatsächlich glühten. Das Feuer, das in der Grube unter ihnen brannte, verbreitete einen gespenstischen Schein.
Sie setzte sich hin, während der Priester herbeieilte, um ihre Füße zu begutachten. Auch Moira warf noch einmal einen staunenden Blick darauf. Die Füße fühlten sich zwar unangenehm warm an, aber sie zeigten keinerlei Spuren von Verbrennungen. Pater Matthew wischte grob die Erde weg, die an ihnen haftete, und musterte sie noch einmal eingehend. Dann bedachte er Moira mit einem wütenden Blick, doch mittlerweile war schon einer der Männer zu ihnen getreten und hatte die Fesseln um ihre Handgelenke
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