Verzehrende Sehnsucht
sie an. "Aber du hast es verdient, eine Lady zu sein. Genau so eine Lady, wie deine Mutter es gewesen ist. Und du hast alles, was man dazu braucht."
Er trat vom Fenster weg und breitete die Hände aus. "Was hätte ich dir bieten können, außer dem rauen Leben der Tochter eines Kriegers? Also begnügte ich mich damit, hier zu bleiben und dich zu einer feinen Lady heranwachsen zu sehen." Er senkte die Hände und starrte geradeaus. Er schien Becca nicht mehr wahrzunehmen. "Deine Mutter war einer der feinsten, tapfersten und freundlichsten Menschen, die je auf dieser Erde gewandelt sind. Was auch immer sie in mir erblickt haben mag …" Seine Worte verhallten. Er schüttelte den Kopf.
"Einen guten Mann. Das ist es, was sie gesehen hat", erwiderte Becca voller Überzeugung. "Und du hast sie geliebt."
"Ich habe sie geliebt", murmelte Dobbin, als er sich wieder auf den Stuhl neben dem Bett setzte. "Ich war aber zu selbstsüchtig. Sonst wäre sie niemals schwanger geworden. Ich wäre auch zufrieden gewesen, sie aus der Ferne zu verehren."
"Ich bin mir sicher, dass sie dich auch geliebt hat, Dobbin. Selbst wenn es egoistisch gewesen sein mag, dich zu lieben, verurteile ich nicht, dass sie diesem Gefühl nachgegeben hat."
"Sie war nicht schwach, Becca", erwiderte er. "Sie war gut und freundlich, aber auch stark. Sie musste es sein, um mit dem Schmerz fertig zu werden, den dein Vater ihr zugefügt hatte. Er hat versucht, sie zu brechen, genauso wie er versucht hat, dich zu brechen. Aber er hatte damit wenig Glück bei ihr – genauso wenig wie bei dir."
Becca fiel ein, wie es sich angefühlt hatte, als sie zum ersten Mal gespürt hatte, dass Blaidd sie liebte. "Sie hatte deine Liebe, die ihr Stärke gab."
"Nicht zu Beginn. Ich bewunderte und respektierte sie von Anfang an. Natürlich. Doch als mir klar wurde, dass zwischen uns etwas war, kämpfte ich dagegen an. Genauso wie sie. Sie war eine ehrenwerte Frau."
"Aber ihr ging es schlecht. Und sie wollte bei dir Trost finden. Und fand später dann auch Liebe. Ich bin froh, dass sie dich hatte und dass du sie geliebt hast, Dobbin. Sehr froh." Becca streckte die Hände aus und nahm seine in die ihren. "Ich bin stolz, dass du mein Vater bist."
"Und ich bin mehr als stolz, dass du meine Tochter bist." Tränen glänzten in seinen Augen. " Meine Tochter."
Eine tiefe wohltuende Stille breitete sich zwischen ihnen aus.
Dann veränderte sich Dobbins Gesichtsausdruck, er wurde vor lauter Sorge ernst. "Du darfst niemandem davon erzählen, Becca. Das muss immer unser Geheimnis bleiben."
"Warum?" fragte sie entsetzt. "Ich schäme mich meiner Herkunft nicht."
"Tu es für die Menschen von Throckton. Wer sonst könnte für sie sprechen und den König davon überzeugen, dass niemand von uns etwas mit der Verschwörung dieses Schurken zu tun hat? Nicht Laelia und auch keiner meiner Männer. Laelia mag zwar die Älteste sein, aber sie kann nur jammern und klagen. Also musst du das Wort für uns ergreifen."
Becca erkannte, dass er vermutlich Recht hatte. "Ja, ich verstehe", murmelte sie.
"Wir haben keine andere Wahl. Du musst an das Gesinde und die Bauern denken und ich an meine Männer."
"Wo ist Laelia? Hast du ihr berichtet, was …?"
"Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass sie sich weinend in der Kapelle aufhielt. Er hat ihr erzählt, was passiert ist."
Es war nicht schwer zu erraten, auf wen Dobbin anspielte. Beccas Herz war von Trauer erfüllt – für Laelia und auch für Blaidd, der ihrer Schwester die Nachricht vom Tode ihres Vaters hatte überbringen müssen. "Hat Blaidd gesagt, was jetzt geschehen soll?"
Dobbin schüttelte den Kopf. "Nicht, dass ich wüsste. Aber er hat die Führung der Burg übernommen. Er hat die Dänen angewiesen abzureisen. Sie sind bei Morgengrauen losgeritten."
"Ich will ihn sehen, Dobbin, sobald wie möglich. Könntest du ihn für mich finden?"
Es klopfte energisch an der Tür.
"Ah, das wird Meg sein, mit der Brühe", meinte Dobbin. Er sprang auf.
Doch es war nicht Meg.
Sondern Sir Blaidd Morgan. Er wirkte ernst und grimmig und trug Kampfbekleidung.
16. Kapitel
Auf jeden Fall kam es Becca so vor, als mache er sich zum Kampf bereit. Zumindest trug er ein Kettenhemd unter seinem Umhang und Sporen an den Absätzen. Den Helm hatte er unter dem Arm.
Sein Breitschwert schlug ihm gegen die Hüfte, als er vorwärts schritt. Er wirkte mehr wie ein Krieger als ein Mann, der gekommen war, um die Frau zu besuchen, die er liebte und vor dem
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