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Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Titel: Verzeihung, sind Sie mein Koerper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christl Lieben
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dem Repräsentanten arbeitete. Wir kamen einer Lösung immer wieder nahe und dann entglitt sie uns wieder. Ich weiß im Detail nicht mehr, welche Interventionen ich versucht habe, es ist zu lange her. Etwas ist mir jedoch jetzt noch sehr gut in Erinnerung und auch das habe ich damals gelernt:
    Ein Mensch, der sich schuldig gemacht hat, kann sich erst wirklich selbst vergeben, wenn er seine eigene Schuld klar und in Worten einem anderen Menschen gegenüber bestätigt hat. Das gibt ihm seine Würde als Täter, und nur aus dieser Würde heraus ist es ihm möglich, sich selbst zu vergeben.
    Schließlich war es so weit: Der Mann konnte seinen gewaltigen Schmerz zulassen, ein langes Schluchzen folgte dem. Er lag auf dem Boden, er hätte nicht stehen können. Gleich darauf legte sich auch der Repräsentant der »Geistesverfassung« auf den Boden, auch er weinend, erschöpft und befreit.
    Ich bat den Repräsentanten des Jungen, die Last des Schicksals,
die er bisher mitgetragen hatte, an seinen Großonkel zurückzugeben. Nachdem das geschehen war, wurde es friedlich und still im Raum.
    Frau D. war erschöpft, wir waren es alle, aber es war gut so für uns alle.
    Ich bat Frau D., sehr vorsichtig in der Familie nachzufragen, ob irgendetwas von dem heutigen Abend der Familie bekannt vorkommen könnte.
    Nach zwei Tagen rief sie mich an und erzählte mir höchst erstaunliche Dinge, die sie erfahren hatte. Es gab diesen Mörder tatsächlich in der Familie. Es handelte sich um den Bruder der Großmutter, der in einem Dorf gelebt hatte und dort in einem Wirtshaus, wahrscheinlich betrunken, mit seinen Händen jemanden ermordet hatte. Das Dorf hatte ihm den gleichen Spitznamen gegeben, den auch das repräsentierende System für ihn gefunden hatte. Der Großonkel war von der Familie ausgeschlossen und totgeschwiegen worden. Das scheint eine Erklärung dafür zu sein, warum seine Geschichte mit aller Deutlichkeit, fast unverändert, im Familienbewusstsein nonverbal weitergegeben worden war, – bis sie schließlich bei dem bedauernswerten Jungen angekommen war und dort neue Gestalt angenommen hatte.
    Zu dem Jungen ist noch etwas Interessantes zu sagen. In den Tagen der Aufstellung hatte der Arzt wieder einmal versucht, die Dosis der Medikation herabzusetzen – zum ersten Mal mit Erfolg. Die Familie des Jungen lebt im Ausland und die Klinik, die ihn beherbergt, ist sehr weit weg vom Aufstellungsort. D.h. die Botschaft der Aufstellung hat durch das Systembewusstsein der Familie möglicherweise so weit gewirkt.
    Das alles sind Hypothesen, die ich auch als solche stehen lassen möchte. Kurzfristig war ich noch mit der Familie in Kontakt. Da ging es dem jungen Mann immer noch besser. Dann habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Realistischerweise
muss man vermuten, dass der Junge eine pathologische Grundstruktur hat und deswegen das Schicksal seines Großonkels so intensiv nachvollzogen hat. Durch die Aufstellung war ein Aspekt aus dem Hintergrund seiner Erkrankung deutlich geworden und hat – hoffentlich – auch etwas im Inneren des jungen Mannes befreit.
    Die für mich wichtigste Lehre aus dieser Arbeit ist die absolute Notwendigkeit, dass Täter sich selbst vergeben, um in die Befreiung zu kommen. Die Voraussetzung dafür ist aber ein verbal ausgesprochenes Schuldbekenntnis – die nach außen kommunizierte Akzeptanz der eigenen Tat. (Vgl. auch »Schuld und Sühne vom Körper gespiegelt«, S. 167)
    Ich verfolge auch bei der Arbeit mit Täter-Opfer-Systemen aus der NS-Zeit den Ansatz, den ich hier beschrieben habe. Nicht Juden sollen NS-Tätern vergeben, sondern die Täter müssen zu ihren Taten stehen und dann sich selbst vergeben. Es wird ein namenloser Schmerz auf der Seite der Täter frei. Anschließend ist menschliche Annäherung zwischen beiden Polen möglich.
    Â»Krebs, mein Freund«
    Ein junges Mädchen war verzweifelt über die Krebserkrankung ihrer Mutter. Diese war für die ganze Familie eine zentrale Gestalt und es war daher unvorstellbar, dass es sie vielleicht schon bald nicht mehr geben sollte. Die Krankheit war schon weit fortgeschritten und die Mutter verweigerte weitgehend alle klinischen Interventionen. Es wurde gestellt:
■ der Fokus der Tochter,
■ die Mutter,
■ die übrige Familie, in Personen aufgefächert,
■ der Krebs der Mutter.

    Die Aufstellung war rasch

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