Vier Äpfel
sind sie mit einer Lasche versehen. Wie primitiv muten dagegen die Scheuerlappen an, die früher um die Wurzelbürstenköpfe hölzerner Schrubber geschlagen werden mußten, Schrubber, deren Stiele sich nicht selten lösten. Es gibt sie noch, genau wie Handfeger und Kehrbleche, die sich immer dann bewährt haben, wenn grober Schmutz oder Scherben von einem Fußboden zu entfernen sind. Ich kann gar nicht erklären, warum ich mich für Feuchtwischsysteme interessiere und Kehrbleche schön finde, die statt aus Blech heute meist aus schlagfestem Kunststoffhergestellt werden, vielleicht ist das meine Art, mich abzulenken von den anderen Dingen, ich schalte Nahaufnahme hinter Nahaufnahme, um nur ja nie ein Panorama zu sehen. 30
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Ein Supermarktregal hat heiße und kalte Zonen, und weiter unten, ich müßte mich bücken oder in die Knie gehen, um herauszufinden, was dort steht, die sogenannten toten Zonen. Geschälte Tomaten in der Dose verstecken sich da zum Beispiel, die nur ein Viertel von denen kosten, die sich weiter oben, knapp unter Augenhöhe, präsentieren. Die billigen Dosentomaten werden sowieso gekauft, die teuren mit den schöneren Bildern auf dem Etikett sowie der kleine Tetrapack mit den passierten Biotomaten müssen sich hingegen zeigen. Tomaten brauche ich heute keine, das Dilemma, mich entscheiden zu müssen, bleibt mir in diesem Fall erspart.
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Was sich nicht bewährt, verschwindet aus den Regalen, was sich nicht verkauft, fliegt aus dem Sortiment. Der Supermarkt ist ein Museum der Dinge und Marken, die sich gehalten haben, ja der zeitgenössischste Ausstellungsraum überhaupt. Ein Künstler müßte alles nur mit einer dünnen Wachsschicht überziehen und warten, bis eine hohe, undurchdringbare Dornenhecke um den Supermarkt gewachsen ist, und schon nach zwanzig Jahren wäre sein Wachsguß eines der genauesten und detailliertesten Abbilder der vergangenen Zeit, denn hier steht und liegt ja das, womit und wovon wir leben. Noch interessanter wäre es natürlich, wenn ein Supermarkt wie Pompeji in einem vulkanischen Ascheregen unterginge und erst zweitausend Jahre später wieder ausgegraben würde. Archäologen der Zukunft wären begeistert, zumal, das ist abzusehen, es bald gar keine Supermärkte mehr geben wird. Bald werde ich alles von zu Hause oder aus dem Büro bestellen – so wie der Mann es tut, den ich einmal auf einer Party getroffen habe. Ich erinnere mich nur deshalb an ihn, weil er behauptete, schon über drei Jahre in keinem Supermarkt mehr gewesen zu sein, er bestelle, sagte er, alles im Internet, und nur in der größten Not helfe ihm ein rund um die Uhr geöffneter vietnamesischer Spätkauf oder eine Tankstelle weiter. Ich glaubte ihm kein Wort, wahrscheinlich, dachte ich, tut er bloß darum so überbeschäftigt, weil er längst entlassen worden ist und seine langen, traurigen Vor- und Nachmittage in Baumärkten, Einkaufszentren und auf den dazugehörigen Parkplätzen verbringt, um seine Frau nur ja nicht merken zu lassen, daß er keine Arbeit mehr hat.
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Vor langer Zeit, ich war noch ein Schüler, habe ich zwei- oder dreimal bei einer Inventur mitgearbeitet. Einmal mußte ich in der Elektroabteilung eines Kaufhauses Toaster, Kaffeemaschinen und Glühbirnen zählen und kleine Zettel mit den Stückzahlen an jedes Fach kleben; ein anderes Mal zählte ich, das nannte sich Stichprobeninventur, Heckenscheren, Schaufeln und Rechen in einem Gartencenter, der zu einem Baumarkt gehörte. Der Baumarkt lag gleich neben dem Friedhof.
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Seit L. nicht mehr da ist, vergesse ich oft, ich denke einfach nicht mehr daran, den Deckel auf die Zahnpastatube zu drehen. Als wir noch zusammenwohnten, habe ich immer auf das Zudrehen der Zahnpastatube geachtet, war mir allerdings nie sicher, ob ich das machte, weil es mir selbst wichtig war und ich verhindern wollte, daß sich im Zahnpastatubenhals ein äußerst störender Pfropf bildete, den ich später wieder würde herausdrücken, vielleicht sogar würde herauspulen müssen, oder ob ich L. nur beeindrucken und als ordentlicher, verläßlicher Mensch dastehen wollte, der immer daran denkt, den Deckel auf die Zahnpastatube zu drehen. Ich stellte mir also, nicht jedes Mal, wenn ich den Deckel draufdrehte, aber doch recht häufig, die Frage, ob ich das nur für sie, für L., machte, ob mein Zudrehen der Tube jeden Morgen und jeden Abend also nur geheuchelt war, oder ob ich die Zahnpasta tatsächlich vor dem Austrocknen schützen wollte. Seit L. nicht mehr da
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