Vier Arten, die Liebe zu vergessen
gefehlt hatten. Dass mit ihnen eine bestimmte (sehr wohltuende) Form
von Akzeptanz und Respekt aus seinem Leben verschwunden gewesen war. Erst
jetzt, da das alte Gefrotzel, die beiläufigen herzlichen Beleidigungen und nur
scheinbar herzlosen Witze wieder zwischen ihnen hin und her flogen, merkte er,
wie angespannt und beflissen er bis dahin sein Leben verbracht hatte. Zum
ersten Mal seit sehr vielen Jahren fühlte er sich nicht allein.
Dabei mochte er allenfalls Michael. Bernd war ein Flachkopf, der
zwar anscheinend denken konnte, es aber gern auch bleiben lieÃ, weil er es
nicht zu seinem Glück brauchte, Wagner war ein verbohrter Papiertiger, dessen
Hirn vermutlich mit Tausenden angelesener Sprüche und Werturteile tapeziert
war, ein Schaf, das sich für den Wolf hielt, der es früher mal gewesen war, ein
Trottel, der sich von seiner Frau verarschen lieÃ, ein Schwätzer â und trotzdem
war es wie endlich ausatmen dürfen, mit diesen drei alternden Jungs zusammen
die Zeit verstreichen zu lassen. Es war eine Erholung.
Er war stolz auf die Formulierung »Wechseljahrefeminismus«, die ihm
vorher einfach zugeflogen war. Das traf es genau. Vielleicht war die ganze
neuere Frauenpolitik, dieses dauernde Gerede von Quoten und Gleichstellung und
gläsernen Decken nichts anderes als der Versuch erschrockener Frauen um die
vierzig, sich vom Alter nicht entwerten zu lassen.
Er hätte seine Frau nicht entwertet. Er wäre gern mit ihr zusammen
alt geworden, hätte gern mit ihr gemeinsam den Spott ihrer Tochter abperlen
lassen, weil sie die Ruhe geliebt und Ãberraschungen nicht mehr per se
willkommen geheiÃen hätten, weil sie schweigen konnten oder sich mit Kürzeln
verständigten, weil sie zufrieden gewesen wären mit dem Erreichten. Aber sie
war nicht zufrieden gewesen. Sie hatte ihn abgeschafft.
Und erst danach war ihm aufgegangen, dass er den Wunsch für die
Wirklichkeit gehalten hatte. Das gemeinsame Schweigen war nicht Einverständnis,
sondern Leere, das, was er für Toleranz gehalten hatte, nur Desinteresse
gewesen, und ihre entspannte Haltung gegenüber Geld und Besitz hatte sich
schlagartig gewandelt, als es darum ging, ihm alles abzunehmen.
Michael mochte recht haben mit der Aussage, dass Pauschalisierungen
dumm sind, aber er lag daneben mit der Annahme, es sei eine Ausrede von Thomas,
dass seine Frau nur auf die passende Gelegenheit gewartet hatte. Ihre Affären
(es waren drei während der Ehe) hatten nicht zu gröÃeren Verwerfungen geführt.
Nach ihren reumütigen Geständnissen hatte Thomas ritterlich seine Demütigung
geschluckt und ihr verziehen. Als sie dann mit dem Verzeihen dran gewesen wäre,
lag einen Tag später der Anwaltsbrief auf dem Küchentisch, und sie war für zwei
Wochen auf Teneriffa.
~
WAGNER musste aufpassen, dass
er nicht zu viel trank. Da er nicht mehr rauchte, gab es nichts, worin er seine
Nervosität kanalisieren konnte, auÃer dem Glas, das er in den letzten Minuten
schon dreimal zum Mund geführt hatte. Aus Thomasâ Geschichte floss eine Art
Gift in Wagners Adern, dessen Ausbreitung und Ãtzen er körperlich zu spüren
glaubte. AuÃer der Untreue und der Scheidung war das dieselbe Geschichte.
Wagner würde Corinna nie betrügen â es gab einfach keine Frau, die
es mit ihr aufnehmen konnte â, umso mehr ängstigte ihn aber das Verschwinden
ihrer Zuneigung. Wenn das nicht nur eine Phase war, sondern, wie bei Thomas,
der Anfang vom Ende ihrer Ehe?
Dass Corinna ihn ausnutzte, war allerdings ausgeschlossen. Sie war
ehrlich. Ehrlicher, als ihm manchmal gutgetan hatte. Und sie war eine starke
und selbstständige Frau, die weder einen Versorger noch einen Beschützer
brauchte â sie waren von Anfang an gleichberechtigte Partner gewesen.
Aber dieser Satz von Thomas, »auf einmal war nichts mehr an mir
erträglich â¦Â«, wollte nicht verklingen. Er dröhnte und warf Echos in die
hintersten Winkel von Wagners Erinnerungen. Er hatte Angst.
Und er war wütend auf Thomas, der ihm diese Angst eingepflanzt hatte
mit seinem Gerede, alle Frauen seien irgendwie gleich und ihre Kritik an den
Männern nichts, was man ernst nehmen, mit dem man sich auseinandersetzen und
deshalb sein Verhalten ändern musste, sondern eine Art Reflex, der eben in
einem gewissen Alter auftaucht und alles Bisherige für ungültig erklärt. Das
war das frustrierte Gerede
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