Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
an.
»Was?«
Lena hob die Augenbrauen, als wollte sie sagen: Stell dich nicht dümmer, als du bist .
Ich starrte von ihr zu Christophs Grab hinüber und wieder zu ihr. Obwohl sie die Arme verschränkt hatte, hielt sie noch immer die neue Gartenschaufel in der Rechten. »Du bist verrückt! Du hast gesagt, dir geht es um Blumen.«
»Bis eben ging es auch um Blumen. Ich wusste ja nichts von dem Testament.«
»Darin steht nichts von Grabschändung«, fuhr Selina auf, die nun auch verstanden hatte.
»Das ist keine Grabschändung, wenn wir seinen letzten Willen umsetzen.«
»Das sag mal der Polizei.«
»Das kann ich ja tun, wenn sie uns erwischen. Aber besser ist, wir lassen uns nicht erwischen.«
»Und damit ist dann alles gut? Ist kein Verbrechen, wenn man nicht erwischt wird, oder was?«
»Gut? Gar nichts ist gut. Christoph ist tot!« Lena atmete schwer. »Aber wovor hast du Angst? Seine letzte Ruhe zu stören, die er gar nicht haben wollte? Wir können seine Asche auch jetzt noch ans Meer bringen, wir müssen sie nur ausgraben. Wenn es sein Wille war, dann soll er ihn auch bekommen. Oder nicht?«
Dieses Oder nicht? stand wie eine Herausforderung in der Luft. Niemand von uns hätte hier Nein sagen können, schon gar nicht Selina. Sie konnte nicht zulassen, dass sich ein anderes Mädchen stärker für Christoph einsetzte als sie selbst. Sie sagte nicht Nein, sie sagte: »Du spinnst.«
»Was?«
»Du spinnst total!«
»Ich bin dabei«, sagte Maik.
»Klar bist du das«, raunzte ich ihn an. »Wenn ein hübsches Mädchen Spring! sagt, springst du. Und wenn es sagt, du sollst einen Toten ausgraben, dann gräbst du!«
»Und du? Tust nichts von beidem, weil ja irgendwas passieren könnte. Nur rumstehen und jammern!«
»Arschloch!« Ich hatte was getan, hatte Gerbers Auto beschmiert, war hier. Aber den Molly hatte ich nicht geworfen. Maik hätte. Das machte mich wütend. »Wer jammert rum? Wer wollte sich denn eine Kugel in den Kopf jagen?«
»Ja und? Ich tu was, du blökst nur Bedenken rum. Polizei, Polizei. Ist verboten. «
»Das war nicht ich! Das war Selina.«
»Immer ich, oder was?«, motzte Selina.
»Wo ist dann dein Problem?«, rief Maik.
Ja, wo lag mein Problem? Es war einfach nicht richtig, die Asche von Verstorbenen auszugraben. Egal, wie wenig ich an Gott glaubte, wie wenig Schaden es anrichtete. Ich hatte Scheu, wie es wohl die meisten gehabt hätten.
Maik dagegen wurde von seinen Schuldgefühlen innerlich so aufgefressen, dass er bereit gewesen war, sich umzubringen. Was war dagegen schon ein bisschen Grabschändung?
»Wo ist dein Respekt?«, fragte ich, weil ich meine Scheu nicht richtig benennen konnte.
»Aber genau darum geht es doch! Wo war der Respekt der Eltern vor seinem Wunsch? Wir machen das doch nicht für uns! Wir machen das für Christoph!«
Für Christoph . So hatte es auch bei der Party geheißen und bei der Beerdigung unter den Tannen, und doch war es nie für ihn gewesen, immer für die, die da waren, Ralph und Knolle und die Eltern. Wer sagte denn, dass Maik das nicht für sich tat? Und Lena?
»Und dafür wollt ihr ihn mal eben so ausgraben?«, fragte Selina. »Ganz egal, ob legal oder …«
»Scheißegal! Genau!«, tönte Maik. »Er war unser Freund, und du warst mit ihm zusammen. Wie kannst du irgendwelche dämlichen Gesetze für wichtiger halten als das, was er wollte?«
»Nicht wichtiger, nur …« Verzweifelt sah sie mich an. Ich hatte keine Ahnung, welche Gesetze wir damit verletzen würden, ob es Grabschändung war, Leichenraub, Urnendiebstahl, was auch immer. Mit welchem Recht wollten diese ganzen Paragrafen uns hindern, Christophs letzten Willen zu erfüllen, der ihm mutwillig genommen worden war? Waren sie wichtiger als Christoph?
Nein, natürlich nicht.
Durfte es die Angst vor Bestrafung sein? Nein, bestimmt auch nicht.
Aber ich konnte ihn nicht einfach so ausbuddeln!
»Wir sind sogar minderjährig«, setzte Lena nach. »Die können uns kaum was.«
»Scheißegal!« Plötzlich entriss ich Lena die Schaufel und stellte mich zwischen sie und Maik und das Grab. Die Schaufel hielt ich wie ein Messer. »Ihr lasst Christoph in Ruhe!«
»Autsch.« Lena hielt sich die Hand. Selina sah unschlüssig zwischen ihr und mir hin und her.
»Nimm die Schaufel runter!« Maik starrte mich an. »Er wollte doch gar keine Ruhe!«
Sobald ich kann, hau ich hier ab.
»Warum weiß plötzlich jeder, was er wollte?«
»Nicht jeder, nur wir. Wir kennen das Testament.«
»Selina
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