Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
nachdem wir so weit gekommen waren. »Und das weißt du genau.«
»Ich weiß.«
»Er könnte viel zu früh ans Ufer gespült werden, in irgendeinem verlogenen Kaff wie unserem. Vom Regen in die Traufe, das können wir nicht zulassen!«
»Ich weiß!«
Ich ging vor ihr in die Knie und sah sie an. Sie stierte wütend zurück.
»Wir werden es schaffen«, sagte ich. »Wenn wir beklaut werden, klauen wir uns eben zurück, was wir brauchen. Das sind wir Christoph schuldig. Irgendwie treiben wir Geld auf.«
»Vielleicht hat Lena das Geld selbst irgendwo eingesteckt, weil sie nicht alles allein zahlen will?«
Ich schnaubte. Das war so absurd, dass mir keine Antwort einfiel. Lena hätte das Geld ja gar nicht erst abheben müssen, wenn sie nicht gewollt hätte.
»Ja, schon gut. Du brauchst nicht so zu glotzen. Dann hätte die blöde Kuh eben besser aufpassen sollen.«
»Komm hoch«, sagte ich und half ihr auf die Beine.
»Danke.« Sie hielt meine Hand weiter fest und sah mich auf einmal so intensiv an, dass es sich anfühlte, als könnte ich den Blick bis auf die Knochen spüren. »Ich vermiss ihn wie verrückt«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Ich auch.«
Und dann umarmten wir uns plötzlich, klammerten uns aneinander, während die Sonne hinter den Bäumen höher stieg. Als Maik und Lena zurückkamen, lösten wir uns langsam voneinander, ohne uns anzusehen. Sie sagten nichts.
Erst jetzt fragte ich mich, warum das Geld von uns anderen noch da war, wenn der Diebstahl eine geplante Aktion gewesen war. Hatte vielleicht nur ein betrunkener Idiot zugegriffen, als er den Geldbeutel zufällig gesehen hatte? Ohne dass Fabienne davon wusste? Mir wurde flau im Magen, und ich wollte mich entschuldigen, aber wie sollte ich das nach den wüsten Beschimpfungen tun? Einfach sorry tippen? Schreiben, dass Maik mir das Handy entrissen hat und das seine Art von Humor sei?
Plötzlich war ich davon überzeugt, dass alle Französinnen viele ältere Brüder hatten, die ihre Ehre verteidigten. Ich dachte an den großen Fußballer Zidane, der so mönchisch-asketisch aussah und den Ball so gefühlvoll behandelte, und der im WM-Finale 2006 seinen Gegenspieler mit einem Kopfstoß niedergestreckt hatte, weil der seine Schwester beleidigt hatte. Wenn Fabienne aufwachte und die Nachrichten entdeckte, dann würden ihre Brüder hier aufkreuzen.
»Wir müssen weg«, sagte ich. »Sofort.«
»Warum?«
»Ich hab die verfluchten Diebe beschimpft.«
Maik klatschte mich ab, Lena zog die Augenbrauen zusammen.
»SMS«, murmelte ich, ohne zu sagen, woher ich die Nummer hatte und welche überhaupt. Dann beeilten wir uns mit dem Packen. Anzeigen konnten wir die Sache nicht. Wir hatten keine Beweise, dafür aber menschliche Asche im Gepäck. Keine Situation, in der man zur Polizei ging.
Es war noch nicht einmal acht Uhr, als wir aufbrachen. Ich schwang mich hinter Lena auf den Roller, und sie sagte wie beiläufig: »Heute kannst du dich am Gepäckträger festhalten. Inzwischen weißt du ja, wie du dich in die Kurven legen musst, oder?«
»Ähm.«
»Oder nicht?«
Ich sagte nichts. Das war eine dieser typischen Mädchenfragen, bei denen man sich immer zum Trottel machte. Und ich wusste nicht einmal, warum. Ich hatte das Geld nicht verloren.
Ich umklammerte das Gestänge hinter mir und beschimpfte sie lautlos. Und Robert. Und dann mich selbst. Lächerlich, dass ich mir Sorgen gemacht hatte, ich könnte mich in sie verlieben. Das Gestänge war mir genauso recht wie ihre Hüften.
20
Hungrig fuhren wir durch mehrere Dörfer, ohne uns ein Frühstück zu stehlen. In den kleinen Läden war man nie von den Blicken der Inhaber geschützt, wenn Brot, Wurst und Käse nicht sowieso gleich hinter der Theke lagerten. Einen Supermarkt sahen wir nicht.
Auf einem Campingplatz füllten wir an einem Wasserhahn die zwei unbeschädigten Weinkanister, die Robert und seine Freunde auf der Lichtung zurückgelassen hatten. Im Waschraum säuberten wir unser Gesichter und Hände, richtig duschen wollten wir ohne Handtuch nicht, und wir sahen kein herrenloses. Die Mädchen wuschen sich die verschmierte Schminke vom Vortag ab, die Ringe unter Selinas Augen verschwanden. Die in Maiks Gesicht blieben.
»Ich brauch was zu essen«, sagte Selina und ging in Richtung Minimarkt.
»Wir brauchen das Geld für Benzin.« Lena hielt sie an der Schulter zurück.
»Hättest du es dir eben nicht klauen lassen.«
»Hättest du selbst welches mitgenommen!«
Selina sah aus, als wollte sie
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