Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
den Kopf einschlagen. Ich weiß nicht, wie ich ihm den Hals umdrehen soll.«
»Nein!«, rief Selina.
»Du nervst doch die ganze Zeit wegen Essen.«
»Aber nicht so!«
»Lasst es leben«, bat auch Lena.
»Bist du Vegetarier?«
»Nein. Aber auch kein Metzger. Und weißt du, wie man es rupft und ausnimmt und in der hohlen Hand grillt?«
Maik starrte auf das Tier, das aufgehört hatte zu zappeln. »Scheiße, nein. Jan, du?«
»Ich hab keine Ahnung«, sagte ich und drückte ihm das Huhn in die Hand.
Maik packte zu, das Huhn begann wild zu gackern.
Ein Bauer tauchte in der Einfahrt des letzten Hofs auf, einen schweren, fleckigen Hammer in der Hand, und bellte uns an. Er hatte dichte schwarze Brauen und eine Nase, die wohl schon mehrmals gebrochen gewesen war.
Maik ließ das Huhn fallen und hob die Hände. Er lächelte harmlos, aber ich sah, wie er sich anspannte, bereit, den Bauer anzuspringen.
Der Bauer hob den Hammer ein Stück und bellte wieder etwas. Ich verstand kein Wort, der Dialekt war schrecklich. Etwas Freundliches war es auf keinen Fall.
»Sorry.« Lena drehte sich um und lächelte so süß, wie es mit Helm möglich war. Deeskalation auf Mädchenart.
Der Bauer fluchte wüst auf Engländer. Das Huhn rannte in den Hof. Maik und ich stiegen auf, dabei behielten wir den Bauer im Blick. Der sah uns nach, während wir davondüsten.
Die Sonne stand fast im Zenit, und zum Hunger gesellte sich Durst. Das Wasser schwappte im Kanister auf dem Gepäckträger hin und her, doch während der Fahrt kam ich nicht heran. Eine Fliege klatschte mir in den Mund. Ich spuckte sie aus, mein spärlicher Speichel war fast geleeartig und schmeckte schlecht.
Fabienne hatte noch immer nicht geantwortet, kein Gezeter, kein Auslachen.
Zwei, drei Biegungen hinter dem Kaff erstreckte sich eine langgezogene Apfelplantage über einen Hügel. Baum reihte sich an Baum, alle knorrig und mit schwer behangenen Ästen. Maik streckte die geballte Faust in die Höhe und bog in den Feldweg neben der Plantage ab. Jubelnd folgte ihm Lena. Ich lehnte mich nach rechts und versuchte, sie dabei so wenig wie möglich zu berühren. Wenn sie es so wollte, dann konnte sie das haben.
Hatte sie dem schönen Robert ihre Nummer gegeben?
Ich wollte fragen, es aber nicht wissen. Wenn wir hielten, würde ich sagen, dass es bestimmt Robert gewesen war, der uns bestohlen hatte. Doch ich wollte nicht hören, dass er ein Alibi hatte, weil er ihr die ganze Zeit die Zunge in den Mund gesteckt hatte, und wer weiß, wo sonst noch hin. Wenn es nicht wegen Christoph wäre, wäre es mir egal, sollte sie doch rummachen, mit wem sie wollte.
Ich umklammerte die Stangen hinter meinem Rücken so fest, dass es schmerzte. Der Feldweg war ausgetrocknet und mit tiefen Kuhlen übersät, und jede übertrug sich auf den wunden Hintern und die Handflächen.
Inzwischen traute ich Lena zu, dass sie sich heimlich mit Christoph getroffen und ihn mit ihrem Lächeln und der spöttischen Augenbraue bezirzt hatte, nichts zu sagen, zu niemanden. Nicht zu Selina, nicht zu mir. Aber mich kriegst du nicht!
Ein gutes Stück abseits der Straße hielten wir an. Selina löste sich von Maik, und die beiden stiegen vom Motorrad. Maik nahm den Helm ab und sagte: »Dann bedient euch mal.«
»Und du?«
»Kein Hunger.«
Ich stieg vom Roller und rieb mir die roten Hände, nicht jedoch den Hintern. Mein Magen knurrte. Die Bäume waren über und über behängt mit grünen Äpfeln, und ich hoffte, dass sie nicht zu sauer waren. Noch nie hatte ich so viel Lust auf einen Apfel gehabt.
»Wenigstens noch einen Apfel«, sagte meine Mutter immer, wenn ich kein Gemüse gegessen und stattdessen eine Tafel Schokolade runtergeschlungen hatte oder Burger essen gewesen war. Sie kaufte sie säckeweise, ein Apfel war in ihren Augen das Gegenmittel für jede denkbare Ernährungssünde.
Maik legte die Hände auf den mannshohen Zaun, um hinüberzuklettern, da zischte Selina: »Warte noch, bis der vorbei ist.«
Unten auf der Landstraße tuckerte ein schmutzig roter Traktor aus dem Dorf heran, einen Pflug im Schlepptau. Doch er fuhr nicht vorbei, sondern bog in unseren Feldweg ab.
»Das darf doch nicht wahr sein!« Langsam zog sich Maik vom Zaun zurück.
»Ist das der mit dem Hammer? Verfolgt der uns?«, fragte Lena.
»Nein.«
Der Traktor fuhr auf das angrenzende Feld und begann direkt neben unserem Weg zu pflügen. Dunkelgraue Abgase waberten stinkend aus einem dreckigen Rohr, während sich der alte Motor
Weitere Kostenlose Bücher