Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
aufgebrochen war. Nur hatte der Fön keine Wände, die das Tier an der Flucht hinderten. Selina legte sich also auf die Lauer, und Christoph setzte es ab und zog die Hände sofort zurück. Er versuchte schneller zu sein als der Frosch, und Selina versuchte, das Tier noch zu erwischen, die Hand jedoch nicht mehr. Sie brauchten ewig viele Versuche, und trotzdem hörten sie nicht auf, bis es zu dämmern begann.
»Ich sollte dann mal heim«, sagte Selina.
»Schade.«
»Das Licht ist auch nicht mehr gut.«
»Ja.«
Sehr langsam und sorgfältig packte sie den Fotoapparat in die Tasche.
»Gehst du am Wochenende auch zum GrubeNRock?«, fragte Christoph.
»Weiß noch nicht«, sagte sie, obwohl sie natürlich gehen würde.
»Komm schon. Wird bestimmt cool.«
»Vielleicht.« Sie lächelte.
»Schickst du mir Dateien von den Bildern?«, fragte er.
»Wenn sie was geworden sind.«
»Das sind sie. Frösche und Schrott, das ist nicht zu toppen.« Er gab ihr seine Mailadresse.
Gemeinsam stiegen sie über das Tor hinaus und radelten bis zum Dorfrand, dann trennten sich ihre Wege.
»GrubeNRocK«, rief er ihr nach.
»Mal sehen!«
Zu Hause setzte sich Selina sofort an den Rechner und übertrug die neuen Bilder. Bis drei Uhr in der Nacht bastelte sie daran herum, wählte Ausschnitte, verwarf sie, wählte neue und schnitt seine Hände sauber heraus, ohne die Originaldateien zu löschen. Es waren schöne Hände mit langen Fingern, wenn auch die rechte ein paar Kratzer hatte, so als würden Frösche beißen. Sie setzte die Frösche so gut ins Bild, wie sie konnte. Vielleicht war es seltsam, diese Tiere zu mögen, aber eigentlich kamen sie ihr nun gar nicht mehr so hässlich und unbedeutend vor. Und wenn sie sprangen, war es fast, als flögen sie.
Sie betrachtete die zehn Bilder, die am besten waren, und speicherte sie in eine neue Unterdatei.
Christoph.
Dann suchte sie noch ihre drei liebsten Bilder mit Schrott und Blumen heraus, und kopierte sie dazu. Sie speicherte alles noch mal und schaltete den Rechner aus. Die Mail würde sie erst morgen Abend losschicken, so viel sollte sich der Kerl bloß nicht einbilden. Doch als sie ins Bett fiel, dachte sie an ihn, bis sie eingeschlafen war.
30
Während der Erzählung hatte ich Selina beobachtet. Sie sah gleichzeitig glücklich und unendlich traurig aus, sie lächelte und weinte, und ihre Stimme war weicher gewesen als gewohnt. Sie wirkte kleiner als sonst und dennoch stärker. Ich erinnerte mich daran, wie sie getanzt hatte, einfach für sich und die Musik, ohne auf die Umstehenden zu achten, und genau so hatte sie erzählt, für Christoph und sie. Ich wusste wieder, warum ich mich damals fast in sie verknallt hatte und fühlte mich einsam und verlassen. Egal, wen man im Leben fand, irgendwann blieb man allein oder ließ jemanden zurück.
Ich hasste das Leben.
Und liebte es, weil es das Gegenteil vom Tod war. Ihn hasste ich wirklich.
Lena sah ich nicht an.
Flackernd fraß sich das Feuer durchs Holz, und es blieb nur Asche, die sich nicht groß von der Christophs unterschied. Ich sah zum Roller hinüber, dort lag kein Flirren in der Luft, nur die Flamme spiegelte sich im Lack. Hellgrau zog der Rauch über dem Sattel hinweg, irgendwo zirpten Grillen, und ein Frosch schrie. Ein schöner Zufall , dachte ich.
»Zum Glück ist das nur einer«, sagte Maik in die Stille hinein. Seit Selina fertig war, hatte niemand mehr gesprochen. »Wenn hier eine ganze Herde lagert, kann keiner schlafen. Die machen einen Höllenlärm.«
»Herde.« Lena grinste.
»Wie sagt man sonst?«
Keiner wusste es. Rotte, Schwarm, Gruppe, alles schien falsch. Lena versuchte es mit Staat, wie bei Ameisen oder Menschen, doch niemand stieg groß darauf ein.
»Und, Lena, was war mit dir und Christoph?«, fragte ich, als sie laut überlegte, ob Frösche eine Königin hatten. Mein Mund war trocken, und ich nahm noch einen Schluck Wein.
Selina nahm mir den Kanister aus der Hand, den Blick auf Lena gerichtet. Kurz berührten ihre Finger meine, ihre grünen Augen reflektierten das Feuer wie die einer Katze. Sie lauerten.
Nur Maik wirkte eher neugierig als angespannt, lässig legte er zwei Äste nach.
»Ich erzähl es morgen«, sagte Lena nach kurzem Zögern. »Eine Anekdote am Stück ist genug. Jede hat bisher für sich allein gestanden, und das hat deine auch verdient, Selina.«
»Morgen Abend sind wir schon am Meer«, sagte Selina kühl. »Das ist zu spät.«
»Morgen zum Frühstück.«
»Das klingt doch
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