Vier Frauen und ein Mord
Wo ist sie jetzt? Lebt sie vielleicht in einer Stadt im Mittelwesten, ruhig und von ihren Nachbarn geachtet, eine ältliche Frau, die traurige Augen hat…? Und kommt eine glückliche, vergnügte junge Frau, vielleicht mit ihren Kindern, um ›Mami‹ zu sehen und ihr von all den kleinen Streitigkeiten und Sorgen des Alltags zu erzählen – ohne eine Ahnung zu haben, welche Leiden ihre Mutter in der Vergangenheit durchgemacht hat?«
»O la la!«, sagte Hercule Poirot. Und ging zum nächsten Opfer über.
Janice Courtland, die »unglückliche Frau«, hatte gewiss Pech mit ihrem Mann gehabt. Seine Eigenarten, die so vorsichtig erwähnt wurden, dass jedermann sofort neugierig darauf werden musste, waren von ihr acht Jahre lang erduldet worden. Acht Jahre des Martyriums, behauptete der Sunday Comet. Dann fand Janice einen Freund. Einen idealistischen, weltfremden jungen Mann, der, entsetzt über eine Eheszene, der er zufällig beiwohnte, den Mann so heftig angriff, dass dieser sich den Schädel an der scharfen Kante einer marmornen Kaminverkleidung einschlug. Die Geschworenen hatten gefunden, dass der junge Mann arg provoziert worden war und dass der junge Idealist keine Tötungsabsicht gehegt hatte. Er wurde wegen Totschlags zu fünf Jahren verurteilt.
Die leidende Janice war, entsetzt über all die Publizität, die der Fall gehabt hatte, ins Ausland gegangen, »um zu vergessen«.
»Hat sie vergessen?«, fragte der Sunday Comet. »Wir hoffen es. Irgendwo lebt vielleicht eine glückliche Frau und Mutter, der diese Jahre eines Alptraums von still erduldeten Leiden jetzt bloß wie ein Traum vorkommen…«
»Na, na«, meinte Hercule Poirot und ging zu Lily Gamboll über, dem tragischen Produkt einer hektischen Zeit.
Lily Gamboll lebte in der Obhut einer Tante. Eines Tages hatte das Mädchen ins Kino gehen wollen, und die Tante hatte nein gesagt. Da nahm Lily eine Fleischhacke, die in Reichweite auf dem Tisch lag, und schlug damit auf die Tante ein. Der Schlag tötete sie. Lily war für ihre zwölf Jahre wohlentwickelt und kräftig. Eine Erziehungsanstalt hatte ihre Tore geöffnet, und Lily verschwand aus dem Alltagsleben.
»Jetzt ist sie eine Frau, wieder frei, ihren Platz in unserer Gesellschaft einzunehmen. Ihre Führung während der Jahre der Haft und der Bewährung soll einwandfrei gewesen sein. Zeigt dies nicht, dass nicht das Kind, sondern das System schuld war? In Unwissenheit erzogen, in armseligen Verhältnissen, war die kleine Lily ein Opfer ihrer Umgebung.
Jetzt hat sie ihren tragischen Fehler gebüßt und lebt irgendwo glücklich, wie wir hoffen, eine gute Staatsbürgerin und eine gute Frau und Mutter. Arme, kleine Lily Gamboll.« Poirot schüttelte den Kopf. Ein zwölfjähriges Kind, das mit einer Fleischhacke auf seine Tante losschlug und dazu noch so fest, dass es sie tötete, hielt er nicht für ein sympathisches Kind. In diesem Falle galt seine Sympathie der Tante.
Schließlich wandte er sich Vera Blake zu.
Vera Blake war sichtlich eine jener Frauen, denen alles schief geht. Erst hatte sie sich mit einem Freund eingelassen, der sich als Gangster herausstellte, den die Polizei wegen Mordes an einem Bankwächter suchte. Dann hatte sie einen ehrbaren Kaufmann geheiratet, der als Hehler entlarvt wurde. Ihre beiden Kinder hatten ebenfalls im Laufe der Zeit die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich gezogen. Sie gingen mit Mami in Warenhäuser und erwiesen sich als ganz gute Ladendiebe. Schließlich betrat dann doch ein »guter Mann« die Bühne. Er hatte der armen, ahnungslosen Vera ein Heim in Übersee angeboten. Sie und ihre Kinder sollten dieses verkommene Land verlassen.
»Von da an wartete ein neues Leben auf sie. Endlich, nach vielen Jahren wiederholter Schicksalsschläge, sind Veras Sorgen vorüber.«
»Ob das stimmt?«, fragte Poirot sich skeptisch. »Höchstwahrscheinlich wird sie herausfinden, dass sie einen Betrüger geheiratet hat, der auf Überseedampfern seine Opfer sucht.«
Er lehnte sich zurück und betrachtete die vier Fotografien eingehend. Eva Kane, mit zerzaustem Kraushaar und einem riesigen Hut, hielt einen Strauß Rosen wie einen Telefonhörer ans Ohr. Janice Courtland hatte einen Glockenhut über die Ohren gezogen und enggeschnürte Hüften. Lily Gamboll war ein hässliches Kind mit offenem Mund, das aussah, als hätte es Polypen und könnte nur schwer atmen. Sie trug eine Brille mit dicken Gläsern. Vera Blake war so tragisch schwarz und weiß, dass man überhaupt keine Züge
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