Vier Jungs auf einem Foto (German Edition)
ist doch höchstens dreihunderttausend wert!«
»Lass ihn ausreden, Ruso«, bremst Fernando.
»Was er wirklich wert ist, wissen wir nicht.«
»Aber garantiert keine vierhunderttausend.«
»Man nennt das › verhandeln ‹ «, erwidert Mauricio betont geduldig. »Er macht ein Angebot, ich sage, das ist zu wenig, er erhöht sein Angebot, wir halten dagegen, und am Ende einigen wir uns irgendwo in der Mitte. Dreihunderttausend müssen schon drin sein.«
»Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragt Fernando. Ruso hat den Eindruck, dass er nur deshalb aufs Tempo drückt, weil er Mauricio die Initiative entziehen will, ihm seine Rolle als gerissener Hund nicht gönnt.
»Wenn wir uns mit den Ukrainern treffen, werden sie mit der Summe ein bisschen raufgehen. Auf zweihundertfünfzigtausend vielleicht. Wir lehnen wieder ab, sagen, dass wir ihn unter dreihundertfünfzigtausend nicht abgeben. Und irgendwann sind wir dann bei der Summe, die wir haben wollen.«
»Aber … Was, wenn sie einen Rückzieher machen?«, fragt Ruso, dem die Männlichkeitsspielchen der anderen herzlich egal sind.
»Warum sollten sie einen Rückzieher machen?«
»Weil sie vielleicht noch andere Jungs auf dem Zettel haben.«
»Natürlich haben sie das. Oder meinst du, diese Typen kommen extra aus der Ukraine, um einen einzigen Spieler zu verpflichten? Die kaufen nicht nur Pittilanga und reisen wieder ab. Die haben einen großen Geldkoffer dabei und holen sich die Jungs im Dutzend.« Mauricio hebt und senkt die Hand wie eine Schneidemaschine. »In Serie. Pittilanga ist nur einer von vielen. Manche spielen dann tatsächlich bei Dnipro Dnipropetrowsk, andere werden irgendwohin ausgeliehen. Pittilanga ist Teil eines ganzen Pakets. Nur wegen ihm wären sie garantiert nicht hier angetanzt. Verstehst du, Ruso?«
An der Satzmelodie erkennt Ruso, dass er mit ja antworten soll, aber tief in ihm macht sich eine absurde Enttäuschung breit. Irgendwie nimmt das der Situation den Glanz.
»Und dann sind da auch noch die fünfzehn Prozent, die dem Jungen angeblich zustehen.«
»Was für fünfzehn Prozent?«, fragt Ruso.
»Warum angeblich?«, fragt Fernando.
Mauricio verzieht missmutig das Gesicht, nicht sehr, aber deutlich erkennbar.
»Von der Transfersumme stehen dem Spieler fünfzehn Prozent zu«, erklärt er an Ruso gerichtet. »Und › angeblich ‹ , weil weniger Geld für Guadalupe übrigbleibt, wenn wir ihm die Kommission tatsächlich zahlen. Wenn wir dreihunderttausend rausholen, dann sind fünfzehn Prozent fünfundvierzigtausend. Die Kleine bekäme also statt dreihunderttausend nur zweihundertfünfundfünfzigtausend. Und was wir an Steuern abführen müssen, ist auch noch nicht geklärt.«
Schweigen. Ruso spürt, wie unwohl Fernando sich fühlt. Er will das Beste für Guadalupe, aber er will auch nicht Pittilanga übervorteilen.
»Ich bin dagegen«, murmelt Fernando schließlich.
»Wogegen?«
»Dem Jungen die fünfzehn Prozent vorzuenthalten.«
Wieder Schweigen. Mauricio sieht Ruso an, hofft auf eine Solidaritätsbekundung, aber Ruso bleibt stumm.
»So ist es eben«, argumentiert Mauricio. »Wenn der Junge in Europa spielen will, soll er ruhig seinen Teil beitragen. Schließlich wird er in Euros bezahlt.«
»Hat die Ukraine den Euro?«, fragt Ruso.
»Ist doch völlig egal.« Mauricio will vermeiden, dass das Thema sich auswächst.
»Wenn du meinst«, lenkt Ruso ein, weil er Mauricio nur zu gern Recht gibt. Sie sind so weit gekommen, sind so nah dran an dem, was sie sich vorgenommen haben.
Doch in diesem Moment ergreift Fernando wieder das Wort. »Der Junge hat sich uns gegenüber immer korrekt verhalten.«
»Na und?« Mauricio muss sich schwer zusammenreißen. »Hat Mono sich ihm gegenüber etwa nicht korrekt verhalten? Oder wir? Wäre ein bisschen Entgegenkommen wirklich zu viel verlangt?«
»Ein bisschen Entgegenkommen? Immerhin hat er zugestimmt, sich vom Stürmer zum Verteidiger umfunktionieren zu lassen. Hat seinen Stolz runtergeschluckt. Wieder von null angefangen.«
Was Fernando da sagt, stimmt. Ruso schämt sich, weil er nicht genauso gedacht hat. Manchmal kann Fernando unerträglich sein mit seiner Ehrlichkeit, mit seiner Aufrichtigkeit, die jede Widerrede wie ein moralisches Vergehen erscheinen lässt. Ohne es zu wollen, gibt er einem das Gefühl, ein moralischer Versager zu sein. Deshalb ist Ruso manchmal versucht, sich auf Mauricios Seite zu schlagen, wenn der mal wieder genervt ist vom Gutmenschen der Vorstadt, wie er
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