Vier minus drei
vertrauensfördernde Gesprächskultur zwischen Kindern und Betreuerinnen, Betreuerinnen und Eltern. Die beherzte Art, Probleme anzupacken. Wie oft hat mir Nelli, die Kindergartenleiterin, Mut zugesprochen, wenn ich wieder einmal glaubte, eine schlechte Mutter zu sein. Wie oft hat sie mir geholfen, die Welt durch die Augen meines Kindes zu betrachten. Wie oft hat sie schwierige Situationen entschärft, indem sie ihre Erfahrung sprechen ließ.
Du bist nicht die erste Mutter, die dieses Problem mit ihrem Kind hat.
Was ihr erlebt, ist ganz normal. Jede schwierige Phase geht auch wieder vorüber.
Achte darauf, was dein Kind jetzt braucht, und stelle keine Hochrechnungen an, im Hinblick auf die Zukunft oder die Fehler der Vergangenheit.
Am Mittwoch nach Ostern waren wir mit einer Situation konfrontiert, die den Rahmen aller Erfahrungen sprengte. Thimos Tod war nicht gerade etwas, das als normal zu bezeichnen war. Und ich war zwar bestimmt nicht die erste, wohl aber die einzige Mutter weit und breit, deren ganze Familie gestorben war.
Wie würde Nelli mit dieser Situation umgehen? Konnte sie mir Hilfestellung bieten? Was würde sie den anderen Eltern sagen? Was den Kindern?
Ob ein Rat wirklich weise ist, zeigt sich, so meine ich, nicht daran, wie oft er erteilt wird. Oder daran, wie viele Menschen ihn dankbar annehmen. Einen wirklich weisen Rat erkennt man daran, dass er in existenziellen Situationen hilfreich ist. In Situationen, die uns über die Grenzen dessen hinausblicken lassen, was wir zuvor für allein möglich und machbar hielten.
Achte darauf, was dein Kind jetzt braucht. Achte darauf, was jetzt wichtig ist.
Jetzt. Am Mittwoch nach Ostern, am ersten Kindergartentag nach Thimos Tod brauchten die Kinder im Kindergarten vor allem das Gespräch. Sie brauchten Zuwendung und die Möglichkeit, alles auszusprechen, ihre Fragen, ihre Ängste, ihre Traurigkeit. Sie brauchten Menschen, die sich dem Thema Tod stellten und sich nicht hinter Andeutungen, Beschwichtigungen oder Tabus versteckten.
Ich weiß nicht, warum Nelli einfiel, mich in den Kindergarten einzuladen. Mich zu fragen, ob ich mit den Kindern
über Thimos Tod sprechen könnte, um zehn Uhr, beim Kreisgespräch. Doch ich kann sagen, wie gern ich die Einladung annahm. Wie wichtig es für mich war, die Botschaft selbst zu überbringen. Und darüber, wie stark ich meine Lebenskraft spürte inmitten der lebhaften, quirligen Kinderschar.
Im Turnsaal.
Wir sitzen im Kreis, jedes Kind auf seinem persönlichen Polster. Das Polster, auf dem ich Platz genommen habe, ist grün. Es gehört Thimo. Ich habe es mir ausgeborgt.
In der Mitte brennt eine Kerze, jedes Kind darf sich ein Teelicht holen und vor sich aufstellen. Entzündet wird es später, zuerst müssen wir etwas Wichtiges besprechen.
»Ich weiß schon, der Thimo ist tot!«
Felix, Thimos bester Freund. Unerschrocken wie immer.
»Wir waren am Bahnübergang, ich hab die Trümmer gesehen.«
Ein Mädchen meldet sich mit leiser Stimme:
»Ich habe Scherben von den Scheinwerfern eingesammelt, die hab ich jetzt zu Hause.«
»Ich hab sogar ein paar Plastikteile von Thimos Go-Kart gefunden, voll cool!«
Ein weiteres Kind ist aufgetaut.
Ich höre zu, staune über den Mitteilungsdrang der Kinder. Ich erkenne, dass es ihnen leichter fällt, über Scherben und kaputtes Spielzeug zu sprechen als über das Fehlen des Freundes. Ein Autocrash. Ein kaputtes Go-Kart. Zertrümmerte Scheinwerfer. Das alles kennen selbst die
Kleinsten, aus dem Fernsehen oder von der Straße, und irgendwie ist so ein Unfall doch immer auch cool .
Nelli hat ein feines Sensorium dafür, wann sich die Kreisgespräche der Kinder in eine unerwünschte Richtung zu entwickeln beginnen.
»Wisst ihr was, wir zünden für Thimo unsere Kerzen an.«
Eine Zündholzschachtel wird herumgereicht, jedes Kind darf sein Licht selbst entzünden. Wer es nicht schafft, dem wird geholfen. Als alle Kerzen brennen, geben wir einander die Hände. Es wird schnell ruhig.
»Wo mag Thimo jetzt wohl sein?«
Ich stelle diese Frage, weil ich mich nach den Antworten der Kinder sehne. Ich will ihre Version darüber hören, wo Thimo, Fini und Heli jetzt sind.
»Ich glaube, er fliegt jetzt über einen Regenbogen.«
»Ich habe von ihm geträumt, da war er auf einem großen Schiff, auf einem weiten Meer.«
»Ich glaube, er ist im Himmel.«
Ich lächle dankbar, eine Träne kullert langsam über meine Wange. Nelli schnäuzt sich leise.
Noch ein Rat, den ich
Weitere Kostenlose Bücher