Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vier minus drei

Titel: Vier minus drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Pachl-Eberhart
Vom Netzwerk:
runtergefallen ist, war wohl irgendein anderer, beliebiger!

    Es tut mir so leid. Wie konnte ich nur so selbstgerecht sein und Thimo so wehtun!«
    Ich heule Rotz und Wasser, habe schon das vierte Taschentuch durchnässt. Meine Trauer durchlebt Geburtswehen. Verkrampfung und Schmerz, dann wieder Tränenfluss, die Wellen kommen in stetigem Wechsel. Ein Ende ist nicht abzusehen. Elisabeth hört zu, ruhig wie immer, ihre sanften Augen vermitteln mir dabei eine wertvolle Botschaft.
    Alles ist gut. Es ist wichtig, was du sagst. Ich bin da und lasse dich nicht allein.
    Nach meiner Beichte bin ich erschöpft. Ich brauche eine Pause. Die Packung Taschentücher ist leer, ich steige auf Klopapier um.
    »Die Einzige, die dir jetzt noch verzeihen kann, bist du.«
    Elisabeths erste Worte seit einer Viertelstunde. Leise. Warm. Bestimmt.
    Wie soll ich mir jemals verzeihen, wenn ich meine Fehler nicht mehr gutmachen kann? Wenn ich Thimo nicht mehr sagen kann, wie leid mir jedes einzelne ungeduldige, ungerechte, böse Wort tut, das ich je an ihn gerichtet habe?
    »Ich habe mir diese große Liebe nicht verdient.«
    »Das stimmt. Du hast dir diese große Liebe nicht verdient.«
    Stille. Meine Augen haben sich in zwei große Fragezeichen verwandelt. Vor Schreck vergesse ich sogar zu weinen.
    Was soll das heißen? Sind wir alle unwürdig? Hat die Schuld denn nie ein Ende?
    »Kein Mensch hat sich diese große Liebe, die du durch Thimo spürst, verdient. Die Liebe ist da. Wir müssen sie
uns überhaupt nicht verdienen, genau das ist es, was sie auszeichnet. Wir sind als Menschen auf die Erde gekommen, auch um Fehler zu machen. Keinen von ihnen können wir ungeschehen machen, aber wir können aus unseren Fehlern lernen und an ihnen wachsen.
    Wenn du willst, ist das eine Möglichkeit, deine Fehler gutzumachen. Wachse und lerne, Thimo wird dir dabei zuschauen und sich darüber freuen. Aber die Liebe ist in jedem Fall da. Du hast sie dir nicht verdient . Und du musst sie dir nicht verdienen.«
    Ich lausche Elisabeths Worten, die mir revolutionär vorkommen und gleichzeitig unendlich logisch. Ich merke, wie es leichter wird, an Thimo zu denken. Beginne zu begreifen, was es bedeuten kann, sich selbst zu verzeihen. Es ist nicht bloß der erste Schritt, sondern der einzige, der einzig wichtige.
    Gott muss uns nicht verzeihen und auch die Toten nicht, denn sie haben uns niemals einen Vorwurf gemacht. Ich bin es, die mich schuldig spricht. Nur ich kann es sein, die mir verzeiht.
    »Weißt du was? Bei mir zu Hause steht eine Schale mit Tonperlen, die Thimo vergangenen Sommer getöpfert hat. Wir sind nie dazu gekommen, sie zu bemalen. Es sind ungefähr vierzig Stück. Wann immer ich mich Thimo gegenüber schuldig fühle, werde ich ab jetzt eine dieser Perlen bemalen und sie auf eine Kette fädeln. Beim Tragen der Kette werde ich an das denken, was ich heute begriffen habe.«
    Elisabeth lächelt warm.
    »Das ist eine großartige Idee.«

    Die Stunde ist aus. Ich fahre heim, mit leerem, ruhigem Kopf und warmem Bauch.
     
    Am Nachmittag gehe ich lange im Wald spazieren. Ich beende meine Wanderung auf meinem Lieblingsplatz. Ein Baumstumpf, von dem aus ich über eine Lichtung blicken kann. Hinter mir steht eine Baumgruppe, von der ich mich beschützt fühle.
    Sechs Bäume.
    Drei davon bilden eine Einheit für sich. Sie stehen, so beschließe ich jetzt, für meine Vergangenheit.
    Heli, Thimo, Fini .
    Daneben wachsen zwei Stämme gemeinsam aus einer Wurzel heraus.
    Ich und mein Leben .
    Der sechste Baum erinnert mich daran, dass noch etwas auf mich wartet. Eine Zukunft, von der ich noch keine Ahnung habe.
    Ob da noch ein Mensch in mein Leben treten wird? Ein Partner? Für später, für irgendwann? Gib mir noch Zeit …
    Spontan umarme ich Thimos Baum, so lange, bis ich meine, mit ihm zu verschmelzen. Dann setze ich mich wieder auf den Baumstumpf. Ich habe etwas zum Schreiben mitgebracht.
    Thimo!
    Das Bedürfnis, mit dir zu sprechen, war immer groß. Vieles von dem, was ich dir sagen wollte, konntest du nicht verstehen, vieles habe ich ja selbst kaum verstanden.

    Ich war auch einmal ein Kind wie du, vielleicht ebenso zart, wahrscheinlich ebenso voll Liebe. Wenn man seine Liebe so offen in die Welt zu tragen bereit ist, wie wir es tun oder getan haben, kann es sein, dass manche Menschen noch nicht so weit sind, diese Liebe anzunehmen, in der sich die Ganzheit von allem, also auch Schmerz, Trauer, Fröhlichkeit und sogar der Tod offenbart. Unserem offenen Herz

Weitere Kostenlose Bücher