Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
klappbare Spielbrett sogar mit ins Polizeihauptquartier. Es wurden inzwischen richtige Wettkämpfe ausgetragen und um Geld gespielt. Ich nutzte die meisten freien Momente, um allein zu sein, mich zurückzuziehen. Schon in der Kaserne in Deutschland war ich heilfroh gewesen, abends die paar Kilometer nach Hause fahren zu können.
An einem der freien Tage erlebten wir abends unseren ersten Raketenalarm. Ab und zu wurde das Feldlager von den Aufständischen mit Raketen beschossen, die irgendwo im Umland gezündet wurden und meistens außerhalb des Lagers aufschlugen. Da unsere Container ungepanzert waren, mussten wir uns beim Ertönen der Sirene in eines der festen Gebäude gegenüber begeben. Während wir dort herumsaßen und auf Entwarnung warteten, kam mir in den Sinn, dass TJ während der nächsten Raumverantwortung Geburtstag hatte. Der Erste von uns, den es im Einsatz traf. Ich lagerte Kuchen im Kühlschrank, den mir meine Freundin geschickt hatte und von dem ich einen mit nach draußen nehmen wollte. Aber irgendetwas wollte ich noch tun. Schließlich war eine Geburtstagsfeier im Krieg nichts Alltägliches. Also setzte ich mich hin und zeichnete ein kleines Bild für ihn. Nur eine einfache Karikatur, nichts Besonderes. Ein Bild, das zu seiner Tätigkeit als Fahrer passte. Darauf ließ ich den Rest der Gruppe unterschreiben. Ich wollte meine positive Energie weitergeben.
Auf dem Weg in die nächste Raumverantwortung waren wir deutlich gelassener. Der India Zug hatte endlich seine Schützenpanzer bekommen. Große Stahlkolosse, die mit ihren Zwanzig-Millimeter-Kanonen Furchtbares anrichten konnten. Wir waren für diese Verstärkung sehr dankbar und freuten uns, sie dabeizuhaben. Ab sofort würden sich die Züge mit dem Dienst auf den Höhen 431 und 432 abwechseln. Diesmal waren wir noch nicht dran, aber ich freute mich nicht auf das erste Mal. Auf dem Weg zum Polizeihauptquartier durchfuhren wir ein Gebiet, das von breiten Reisfeldern gesäumt war. Hier waren rechts und links der Straße zwei kleine Dämme aufgeschüttet worden. Dazwischen floss das Wasser, das je nach Bedarf auf die Felder geleitet wurde. Die Landschaft war weiträumig einsehbar und ein Angriff über diese offenen Flächen unwahrscheinlich. Wir fuhren wieder an der Spitze der ganzen Kompanie. Hinter uns Nossi, dann Mü und Brandys Gruppe. Schließlich der India Zug mit den Schützenpanzern und der Rest. Wir waren gut drauf und zu Scherzen aufgelegt.
Plötzlich tauchte ein kleines Auto auf, das am rechten Straßenrand abgestellt war, genau an einem der beiden Wassergräben. Ich betrachtete misstrauisch die Szene, während wir langsam auf das Auto zurollten.
Ey, wisst ihr was, rief ich plötzlich aus heiterem Himmel. Auf den Feldern sehe ich keinen Menschen, niemanden, der zu dem Auto gehören könnte. Vielleicht ist da ’ne Bombe drin.
Ich äußerte diese Vermutung wirklich nicht mit vollem Ernst. Der Verdacht erschien zu offensichtlich und gleichzeitig zu absurd, dass uns nach so kurzer Zeit wieder etwas passieren sollte. Muli wollte kein Risiko eingehen.
TJ, fahr ’nen Bogen drumherum, damit wir dem Auto nicht zu nahekommen.
Als wir auf der Höhe des kleinen Autos waren, passierte es.
WAAAMMM.
Mit einem gewaltigen Knall wurde unser Fahrzeug zur Seite geschleudert. Die Bombe hatte am linken Straßenrand, gegenüber dem abgestellten Fahrzeug, gezündet. Die Räder des Dingos hoben kurz vom Boden ab. Krachend landeten sie wieder auf der Straße. Eine Staubwolke hüllte uns ein, es war nichts mehr zu sehen. Wir alle waren in heller Aufregung. Ich griff nach meinen Händen, tastete sofort meine Beine ab, strich mir durchs Gesicht. Ich spürte nichts bis auf meinen wilden Herzschlag. Die Zeit blieb nicht stehen wie beim Anschlag auf der Westplatte.
Was war das, was war das, rief Mica und umklammerte die Griffe seiner Waffenanlage.
Muli brüllte TJ an. Los, fahr, durchbrechen, durchbrechen!
So hatten wir es gelernt. Bei einem Angriff Vollgas geben, weg aus der Gefahrenzone. Aber außer einem laut piependen Warnsignal passierte nichts. Der Dingo fuhr mit dem gleichen Tempo weiter geradeaus.
Ich kann nicht, ich kann nicht! TJs Stimme überschlug sich.
Wir rollten aus der Staubwolke heraus und fuhren weiter. Ich versuchte, mich zu beruhigen, meinen Puls herunterzuschrauben. Atmete so ruhig ich konnte. Ich blickte nach links zu Hardy. Die Seitenscheibe neben seinem Kopf hatte einen gewaltigen Sprung.
Bist du okay?, fragte ich.
Ja,
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