Vier Zeiten - Erinnerungen
Rationalisierung der Produktion zu Lasten vieler Arbeitsplätze und im übrigen ins Ausland geflossen.
Mein wichtigstes Motiv war der innere Zusammenhang zwischen menschlicher Solidarität und materieller Leistung, für den wir nur den höchst zaghaft angesetzten Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer geschaffen hatten.
In der alten Bundesrepublik hatte es bald nach dem Krieg einen großen Lastenausgleich zugunsten der zwölf Millionen Heimatvertriebenen gegeben. Er war nicht aus dem Einkommen, sondern aus dem Vermögen zu entrichten, und dies zu einer Zeit, als der Wohlstand im Westen erst einen kleinen Bruchteil der Höhe erreicht hatte, auf der er sich heute befindet. Das Verfahren war von viel Verwaltung geprägt und nicht ohne manche Ungerechtigkeit abgelaufen. Dennoch wurde es die bedeutendste Leistung der Westdeutschen, als ein Zeichen der Zusammengehörigkeit mit den vom Schicksal schwer getroffenen Vertriebenen.
Nun war das zweite Kapitel an der Reihe. Es wäre angemessen, gerecht und dem menschlichen Engagement und Zusammenwachsen ungemein förderlich gewesen, die Deutschen in der DDR auf eine nicht staatlich anonyme, sondern persönliche Weise spüren zu lassen, daß wir uns im Westen durchaus bewußt waren, wie unvergleichlich viel schwerer die Last gewesen war, die ihnen das Schicksal ohne ihr Verschulden auferlegt hatte. Ohne Zweifel hatten wir im Westen für den erreichten Wohlstand hart gearbeitet. Es geschah in voller Freiheit unter der Gunst der internationalen Lage, anfänglich mit starker Unterstützung
durch den Marshallplan und mit Hilfe der Dynamik des sich für uns weitenden Marktes in der europäischen Gemeinschaft.
Alle diese Bedingungen hatten den Deutschen im Osten gefehlt. Und welchen Sinn sollte es haben, daß wir in unserem Grundgesetz ausdrücklich erklärt hatten, wir würden auch für jene Deutschen handeln, denen die Mitwirkung versagt war, wenn wir dies nun im Westen so auslegten, daß die Arbeit für unseren Wohlstand nur für uns allein gedacht war?
Die Transferleistungen, die aus dem allgemeinen Haushalt seit Jahr und Tag in die östlichen Bundesländer fließen, haben gigantische Ausmaße. Zunächst durchschaute der Bürger im Westen ihre Herkunft nicht klar genug. Die Führung hatte ihn ja geschont. Man hatte ihn eher in Sicherheit gewiegt als auf Opfer vorbereitet. Man wollte ihn ja auch auf die Wahlen einstimmen. Erst mit einiger Verzögerung und mittlerweile eher mißtrauisch begann er zu spüren, daß mittelbar jeder im Westen mit betroffen ist, mit Steuern und Abgaben, bei den Beiträgen zur Sozialversicherung mit ihren versicherungsfremden Leistungen und durch die Folgen unumgänglicher einschneidender Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand. Nun empfindet er dies allzuoft nicht mehr als einen historisch-moralisch und menschlich angemessenen gesamtdeutschen Ausgleich, sondern als eine ihm immer fragwürdiger erscheinende Last zugunsten immer undankbarerer Landsleute im Osten.
Es fehlte also gewiß nicht an der Höhe dessen, was für die Einheit aus dem Westen in den Osten floß. Aber die Art und Weise, wie diese Mittel mobilisiert wurden und werden, hat dazu geführt, daß die materielle von der menschlichen Aufgabe, die anonyme fiskalische Disposition von der persönlich spürbaren Teilnahme abgekoppelt wurde. Das erschwert die innere Einheit, anstatt sie zu erleichtern. Die öffentliche Gesamtverschuldung der Gebietskörperschaften hat sich von 1989 bis 1996 mehr als verdoppelt. Über 600 Milliarden Mark entfallen allein
auf die Kosten der Vereinigung. Der Solidaritätszuschlag hat als Ausgleich der Lasten auch nicht im entferntesten ausgereicht. Die privaten Geld- und Sachvermögen bewegen sich demgegenüber in weit größerer Höhe als die öffentlichen Defizite. Die Diskrepanz zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut hat einen Höhepunkt erreicht. Nahezu eine Verdoppelung der Staatsschulden und Zinslasten macht uns schwer zu schaffen.
Bei meinen wöchentlichen Reisen in die östlichen Bundesländer traf ich auf viele ermutigende Beispiele der Hilfsbereitschaft. Es gab ungezählte westliche Aufbauhelfer aus allen Altersstufen. Sie arbeiteten mit Sachverstand und Taktgefühl. Private und freigemeinnützige Organisationen waren am Werk. Städtepartnerschaften, noch in der Zeit der Teilung geschlossen, leisteten vortreffliche Dienste. Unsere Tochter Beatrice hatte diese Verbindungen an Ort und Stelle studiert und ihnen ihre Doktorarbeit gewidmet, die
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