Viereinhalb Wochen
anderes Thema …«
Jedenfalls war ich mehr als erleichtert, das Resultat der Untersuchungen schwarz auf weiß mit nach Hause nehmen zu können:
Patientin ist über den Befund informiert – wünscht keine medizinische Intervention – sanfte Geburt in unserem Haus wird ermöglicht.
Am nächsten Wochenende flogen wir nach Stuttgart, um die Familie meines Mannes zu sehen. Da die Eltern getrennt leben, besuchten wir sie einzeln. Bei Tibors Mutter war die Stimmung zuerst verhalten. Sosehr sie sich ursprünglich auf ihr Enkelkind gefreut hatte, so tief betrübt und traurig war sie darüber, dass sie Julius nicht würde verwöhnen können. Wir übernachteten bei Tibors Schwester, und ich lag nachmittags auf dem Balkon und ließ mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Julius liebte die Sonne, er klopfte immer wieder, und ich klopfte an derselben Stelle zurück, dann wieder er, dann wieder ich. Wir hatten unseren Spaß. Nach kurzer Zeit merkte ich, wie meine Schwiegermutter um mich herumschlich, als wage sie sich nicht so recht in meine Nähe. Ich bat Tibor, sie auf das Thema anzusprechen und sie zu mir auf den Balkon zu schicken. Tibor hatte ihre Unsicherheit auch schon bemerkt, redete kurz mit ihr, umarmte sie, schob sie dann regelrecht hinaus und schloss die Tür hinter ihr. Ich nahm ihre Hand und legte sie einfach kommentarlos auf den Bauch. Die Wirkung trat sofort ein.
Tränen liefen über ihre Wangen, die Blockade war von einem Moment auf den anderen aufgehoben.
»Gott nimmt mir meinen Enkel«, sagte sie traurig, unter Tränen, und umarmte mich.
Das war die Schwiegermutter, die ich kannte: nah, emotional, dicht. Mit einem direkten Zugang zu ihrer Gefühlswelt, der an diesem Wochenende verständlicherweise anfangs verschüttet war durch all die Ängste, Sorgen und Fragen, die sich für sie mit dem Zustand von Julius verbunden hatten. Doch nun war der Damm gebrochen: Wir sprachen offen über alles, tauschten unsere Gefühle aus und verbrachten noch einen entspannten Nachmittag und Abend mit ihr sowie mit Tibors Bruder und Schwester.
Nicht ganz so entspannt ging es tags darauf bei Tibors Vater zu. Die Stimmung war seltsam, keineswegs offen oder auch nur annähernd so natürlich wie bei Tibors Mutter und seinen Geschwistern. Wir waren erleichtert, als wir wieder in der Maschine von Stuttgart nach Berlin saßen.
Am nächsten Tag in Berlin hatten wir schon um acht Uhr morgens einen Termin bei unserer Psychologin. Wir hatten sie per E-Mail über unsere Entscheidung informiert, nun erzählten wir ihr von unseren Reisen zu den Eltern von Tibor und mir. Sie lobte noch einmal die Konsequenz unserer Vorgehensweise und tat alles, um uns auf die bevorstehende schwere Zeit vorzubereiten. Wir sollten mit unserer Kraft haushalten, das war ihr wichtigster Ratschlag, wir sollten uns nicht verausgaben. Wir sollten uns schützen.
»Ihre Seelen haben weiterhin gewaltige Lasten zu tragen. Muten Sie sich nicht mehr zu als unbedingt notwendig. Schützen Sie sich, passen Sie aufeinander gut auf.«
Nachmittags kam die Umzugsfirma mit unseren Möbeln, die bis dahin im Haus von Tibors Vater eingelagert waren. Ich stand an einem Fenster unserer neuen Wohnung und sah abwechselnd auf die Berge von Umzugskartons, die sich vor mir stapelten, und auf die sich im Wind wiegenden Bäume vor dem Fenster. Beim Anblick des stillen Innenhofs war ich völlig entspannt, doch der Berg an Aufgaben, der sich vor mir aufzutürmen begann, beunruhigte mich ein wenig. Die beiden Männer des Umzugsunternehmens hatten um zwei Uhr nachmittags mit dem Ausladen begonnen, und keine halbe Stunde später kam mir Tibor mit den ersten Kisten entgegen, obwohl das nicht seine Aufgabe war – aber die beiden Männer waren sehr dankbar für zwei weitere Hände, denn ihr Chef hatte ihnen nicht mitgeteilt, dass die Wohnung sich im Hinterhaus befindet, ohne Lift und im vierten Stock eines Berliner Altbaus. Auch ich trug ein paar leichtere Dinge die vier Stockwerke hinauf, bis ich so außer Puste war, das ich mich auf eine der vielen Kisten setzen musste. Erst um neun Uhr abends war alles oben, und wir konnten erschöpft für eine letzte Nacht in unsere WG zurückkehren.
Von dort zogen wir am nächsten Tag in unsere neue Wohnung um. Wir waren der Meinung, dass sich in dem halben Jahr, das wir in der WG gelebt hatten, nicht viel angesammelt hatte – doch einen kleinen Transporter bekamen wir trotzdem gut gefüllt. Immer hatten wir versucht, uns mit möglichst wenig
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