Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
Vom Netzwerk:
dieser bittersüßen Momente: Außer den Oberarmen, die tatsächlich richtig muskulös aussahen, konnte man natürlich auch die Cele am Hinterkopf sehen.
    Wir mussten beide noch mal losprusten – um uns kurz danach aber wieder weinend in den Armen zu liegen. So war das damals immer wieder: Wir konnten lachen und uns über unseren Sohn freuen, um im nächsten Moment doch nur an die Cele denken und dem Tod ins Auge sehen zu müssen.
    Es war schön, zwischen solchen Momenten auch mal eine normale Schwangere zu sein: Etwa beim Italiener mit Tibor zu Abend zu essen, wenn der Kellner freudestrahlend an den Tisch kommt:
    »Ah, un bambino! Fünfter Monat? Sechster Monat? Was wird’s denn?«
    »Ein Junge«, sagte Tibor darauf genauso freudig, und der Kellner klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
    »Super, Mann!«
    In solchen Momenten freuten wir uns aufrichtig, auch wenn wir uns gleichzeitig dachten, wenn der wüsste … Und wir sagten nichts in so einem Fall, wir wollten diese besonderen Momente nicht zerstören. Wir genossen die Schwangerschaft.
    Ich war froh, dass die meisten meiner Kontakte in dieser Zeit über Briefe oder E-Mails liefen – das hatte den Vorteil, dass sich die Leute sammeln konnten, dass sie erst mal nachdenken konnten, bevor sie auf unsere Mitteilung über Julius und seinen Zustand reagierten. Es hätte mich völlig überfordert, jeder Bekannten einzeln telefonisch zu erzählen, was passiert war, ich wäre mit den hochemotionalen Reaktionen kaum fertiggeworden. Das wurde mir klar, wenn ich so einfühlsame E-Mails las wie diese aus unserem alten Wohnort im bayerischen Hof:
    Ich musste heute ganz doll an Euch denken, und ich möchte Euch schreiben, warum.
    Ich bin, seit Ihr von Hof weggegangen seid, mal wieder in Köditz joggen gewesen. Wisst Ihr noch – beim Badeteich durch den Wald und auf der anderen Seite auf einer langen Geraden wieder zum Auto. Und mir ist eingefallen, dass die Constanze damals genau bei diesem Lauf ihre neuen Laufschuhe testen wollte. Da es sehr warm war und wir auch schon lange unterwegs waren, haben ihr die Füße so weh getan, dass sie während der langen Strecke zurück einfach barfuß gelaufen ist. ABER sie hat durchgehalten …
    Ich drücke Euch von ganzem Herzen fest an mein Herz und freue mich, von Euch zu hören.
    In Liebe
     
    Eure Katharina
    Die ehemalige Nachbarin hatte sich sicher sehr lange Gedanken über ihre Mitteilung gemacht. Sie hatte nach etwas gesucht, das uns Mut machen und weiterhelfen sollte. Ich war sehr froh über Nachrichten wie diese.
    Anderen Freunden hingegen musste ich Mut zusprechen – denen, die uns schrieben, um uns mitzuteilen, dass sie sich nicht trauten, uns anzurufen, weil sie nicht wüssten, was sie uns sagen sollten. Von denen rief ich ein paar an, was sie sehr überraschte. Am allerwenigsten hatten sie damit gerechnet, dass man mit uns immer noch reden konnte, ganz normal, ohne besondere Vorkehrungen oder Sicherheitsmaßnahmen. Ich sagte den Leuten einfach, dass sie sowieso doofe Sachen sagen würden, die uns verletzen oder weh tun könnten, ganz egal, was sie auch sagen wollten – weshalb sie gleich das sagen könnten, was sie eigentlich auf dem Herzen hätten. »Früher oder später«, sagte ich ihnen, »werdet ihr in ein Fettnäpfchen treten, denn rund um uns herum stehen nichts als Fettnäpfchen, alles ist zur Zeit voll davon …«.
    Am schlimmsten waren diejenigen Kontakte, die sich aus uns nicht bekannten Beweggründen nicht mehr meldeten. Das Angeschwiegen-Werden tat und tut immer noch sehr weh. Umso dankbarer waren wir für all diejenigen, die sich mit uns in den Schmerz stellten, die unser Leben mit uns teilten.
    Am liebsten bekam ich natürlich Mitteilungen, Hinweise und Nachrichten von meinem Mann. Viele davon sandte er mir täglich von unterwegs oder vom Büro aus per E-Mail oder SMS . An ihnen und an meinen Antworten kann ich heute noch am besten ablesen, wie es uns damals ging:
    Tibor:
Ich liebe Dich, und heute ist ein wunderbarer Tag
    Constanze:
Julius tritt und klopft grad wieder wie verrückt
    Tibor:
Dann ist das indische Essen ihm wohl gut bekommen (-:. Grüße ihn bitte von mir. Kuss Kuss
    Manchmal war ich einfach nur so berührt von dem, was in mir passierte, dass ich gar nicht anders konnte, als an Tibor zu schreiben:
    Constanze:
Ich gebe ihm Morse-Klopf-Zeichen vom Papa. Ich liege hier grad und beobachte voller Entzücken, wie meine Bauchdecke alle paar Minuten von einem herzhaften Tritt unseres Sohnes

Weitere Kostenlose Bücher