Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
Vom Netzwerk:
mir seine rechte Hand, die ich behutsam ergriff und vorsichtig auf meine Bauchdecke legte. Tibor saß nun auf der Bettkante, ich lag regungslos neben ihm. Wir warteten still. Über Tibors Gesicht huschte ein Lächeln, denn nun verstand er, was ich wollte.
    Buff.
    Nun spürte auch er deutlich die Bewegung in meinem Bauch, das Klopfen von innen.
    Buff.
    Noch einmal. Das war Julius gewesen! Zum ersten Mal hatten wir mitbekommen, wie sich unser Sohn regte. Wie er sich bewegte als eigenständiger Mensch, der er schon längst war. Uns kamen die Tränen, von einem Moment auf den anderen. Ich hatte Julius schon länger gefühlt in mir, wenn auch noch nicht so deutlich in einer Bewegung, und Tibor hatte das erste Mal überhaupt seinen Sohn spüren können. Das war ein großer Moment, wir fühlten das beide, ein schöner Moment. Tibor beugte sich zu Julius und redete mit ihm. Wir nannten ihn von da an »kleiner Klopfer«.
    Am nächsten Morgen war ich auf dem Weg unter die Dusche, als Tibor mich fragte, ob ich mein Handy schon auf laut gestellt hätte.
    »Morgens um neun?«, fragte ich ungläubig zurück, »wer soll da schon anrufen?«
    Ich war noch viel zu sehr in den viereinhalb Wochen unserer selbstgewählten Isolation gefangen, um an mein Telefon zu denken, und auch schon viel zu weit weg vom Diktat der ständigen telefonischen Erreichbarkeit, zu dem ich all die Jahre zuvor in meinem Beruf verpflichtet gewesen war.
    »Okay, ich mach’s an.«
    Sobald ich aus der Dusche kam, klingelte es tatsächlich. Überrascht nahm ich den Anruf einer mir unbekannten Berliner Nummer an.
    »Hallo, Frau Bohg, ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich mich für Sie entschieden habe und Sie die Wohnung bekommen«, hörte ich eine freundliche Stimme aus dem Handy. »Ich freue mich, dass Sie die Mieter sein werden. Da war noch ein zweites Pärchen in der engeren Wahl, aber Sie beide waren mir so sympathisch …«
    Ich musste mich extrem zusammenreißen, um nicht sofort vor Glück loszujubeln, sondern mich zuerst freundlich zu bedanken und das Gespräch höflich zu beenden. Danach lief ich schreiend in die Küche, wo Tibor und meine Mutter standen, und sprang wie verrückt im Kreis.
    »Wir haben die Wohnung! Wir haben die Wohnung!«
    Tibor und meine Mutter jubelten, und sowohl bei mir als auch bei Tibor machte sich eine gewaltige Erleichterung breit: Nun wussten wir also, wo wir in weniger als zwei Wochen sein konnten, wenn wir unsere Sachen kommen lassen und endlich aus der WG ausziehen würden – diese Unsicherheit hatte uns schwer im Magen gelegen.

[home]
    Unser Nest
    Z urück in Berlin, hatten wir wieder einen Termin bei Dr. Abou-Dakn im St. Joseph Krankenhaus. Die Atmosphäre war genauso angenehm wie beim letzten Mal, nur noch entspannter, weil wir den Chef der Gynäkologie nun schon ein wenig kannten und wussten, dass wir herzlich empfangen werden. Ich musste Julius nicht mehr beruhigen, erklärte ihm nur, dass wir gemeinsam mit dem Onkel Doktor schauen wollten, wie viel er inzwischen gewachsen war. Julius wirkte entspannt.
    »Hier will dir keiner was, keine Angst«, flüsterte Tibor in Richtung meines Bauches. Wir schauten einander an und gingen zusammen ruhig in das Behandlungszimmer.
    Ein Oberarzt untersuchte mich noch mal mit dem Ultraschall, doch wie erwartet gab es keine Neuigkeiten außer der, dass sich Julius heute einen Spaß daraus zu machen schien, mit dem Arzt Fangen zu spielen.
    »Mensch Kleiner, was hast du denn heute zum Frühstück gegessen? Du strampelst hier ganz schön herum …«, lachte der Oberarzt.
    Wie sein Chef sprach auch er Julius direkt an, als Mensch, und redete über ihn nicht wie über ein medizinisches Problem. Natürlich war auch ihm das Interesse daran anzumerken, dass Julius einen extrem seltenen Befund hatte, aber er sprach stets mit Wertschätzung über ihn, mit Respekt vor dem ungeborenen Leben. Er vermaß den Umfang seines Köpfchens und auch den der dort austretenden Cele. Das tat er aber nicht aus wissenschaftlichem, sondern aus praktischem Interesse: Er musste wissen, ob Julius durch den Geburtskanal passt oder über einen Kaiserschnitt entbunden werden muss. Glücklicherweise kam er zu dem Schluss, dass zum derzeitigen Stand eine natürliche Geburt möglich wäre …
    Als wir das Ergebnis der Untersuchung mit dem Chefarzt diskutierten, fragte der mich, ob ich etwa Medizin studiert hätte, weil ich alle Fachwörter kannte, die er verwendete. Ich winkte nur müde ab.
    »Seit Wochen habe ich kein

Weitere Kostenlose Bücher