Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
Vom Netzwerk:
dem Sozialdienst in die Kamera sprechen sollte. Ich wusste nicht so recht, wo ich anfangen sollte, aber der Kameramann stellte mir ein paar Fragen, und ich begann einfach.
    Ich war der Meinung, es gehe nur um den SkF, also redete ich anfangs nur darüber. Aber dann dachte ich plötzlich, nein, so funktioniert das nicht, meine eigene Geschichte muss ich erzählen, ohne die wäre ich schließlich nicht hier. Also begann ich von mir zu erzählen, von Julius, von Tibor, von der Diagnose, von der Pränataldiagnostik, in der ich Frau Fricke, die SkF-Mitarbeiterin, kennengelernt hatte.
    Ich war so sehr bei der Sache, dass ich kaum bemerkte, wie mir plötzlich die Tränen über die Wangen liefen. Mir wurde das erst klar, als die Visagistin herbeieilte mit einem Tüchlein und Make-up, um mir die Tränen abzutrocknen. Ich sagte ihr aber, dass sie das nicht zu machen brauchte.
    »Das hat ohnehin keinen Sinn, denn so geht das jetzt die ganze Zeit!«
    Womit ich auch recht behalten sollte. Kurze Zeit später begann auch sie zu weinen, betreten saß sie mir gegenüber und brauchte ihr Tüchlein für ihre eigenen Tränen. Ich redete und redete und merkte, wie alle immer regungsloser und aufmerksamer wurden. Still mussten sie sowieso sein, wegen der Aufnahme, aber nun standen sie alle wie angewurzelt da und starrten mich an.
    »… so, das war’s«, schloss ich meine Erzählung ab, »jetzt habe ich alles gesagt.«
    Die anderen starrten mich immer noch stumm und regungslos an. Sie hatten nicht mit so einer Geschichte gerechnet, sondern mit ein paar netten Anekdoten aus einer Beratungssitzung, vielleicht mit kleinen persönlichen Anmerkungen, und dann hatte ich ihnen mein Leid vorgesetzt, einfach so, eine gute Stunde lang.
    Eine andere Klientin aus dem betreuten Wohnen des SkF, Uschi, die eine herzerfrischend umgängliche und auch direkte Art hat, löste die Situation endlich auf.
    »Na, dann gehen wir alle mal einen Kaffee trinken.«
    Erst jetzt bewegte sich die Gruppe vor mir wieder. Der Filmemacher stellte seine Kamera ab, ein paar Leute kamen zu mir, um sich bei mir für meine Offenheit zu bedanken. Wir saßen dann noch eine Stunde nebenan, in der Küche, tranken Kaffee und redeten. Ich musste viele Fragen beantworten, umarmte viele Leute und konnte mich endlich, völlig erschöpft, wieder auf den Weg in unser Nest machen, in meinen in letzter Zeit so geliebten Rückzugsort. Als ich dort ankam, war ich zwar völlig erledigt, aber auch froh, alles rausgelassen zu haben, was mich bedrückte. Mit keiner Silbe hatte ich an diesem Tag daran gedacht, dass sich aus diesem Nachmittag einige Zeit später dieses Buch ergeben würde.
    Am nächsten Tag war ich wieder in meinem medizinischen Alltag gefangen. Ich musste ins St. Joseph Krankenhaus, um mich noch einmal untersuchen zu lassen. Dabei stellten die Ärzte fest, dass ich zu viel Fruchtwasser hatte – ein Symptom, das viele Schwangere mit einem behinderten Baby haben.
    Schon in den Tagen davor hatte ich mich hingesetzt und zusammen mit Tibor einen Geburtsplan geschrieben – eine Art Drehbuch für die Geburt, in dem ich festhielt, was uns in diesem Zusammenhang wichtig war:
    Geburtsplan für Julius Felix Bohg
     
    In der vierzehnten SSW haben wir erfahren, dass unser Sohn Julius Felix eine occipitale Encephalocele hat. Aufgrund der Hoffnung in unseren Herrn Jesus Christus haben wir entschieden, die Zahl seiner Tage in Gottes Händen zu belassen. Wir wissen nicht, ob Julius Sekunden oder Minuten mit uns sein wird oder ob Gott uns vielleicht Stunden oder Tage, ja sogar Monate mit ihm schenken wird. Deshalb entschieden wir uns, diesen Geburtsplan zusammenzufassen, um schon im Voraus Entscheidungen zu treffen, damit wir die Zeit mit Julius verbringen können, die er mit uns sein wird.
     
    Für die Geburtsvorbereitung:
    Falls mir, Constanze Bohg, Medikamente verabreicht werden müssen, dann bitte nur schmerzstillende und nicht betäubende (das heißt, im Kopf nüchtern zu bleiben). Falls nötig, möchten wir eine PDA .
    Bitte die Fruchtblase nicht zum Platzen bringen.
    Einen Kaiserschnitt wünschen wir nur im Falle einer für mich lebensbedrohlichen Situation.
     
    Nach der Geburt:
    Wir wünschen uns, Julius in den Armen zu halten gleich nach der Geburt.
    Wir wünschen uns ein Zimmer so weit wie möglich abseits von der Kinderstation.
    Bitte die Tür so markieren, dass alle, die eintreten, wissen, worum es sich handelt.
    Betreffs routinemäßiger Untersuchungen bitte bei Julius nur das

Weitere Kostenlose Bücher