Viereinhalb Wochen
Nierenkolik haben? Wahrscheinlicher erschien mir ein Zusammenhang mit Julius. Ich rief die Hebamme an und beschrieb ihr die Symptome.
»Das ist nicht schlimm«, hörte ich Tanja am Telefon sagen, während ich mich kaum aufrecht halten konnte, »das können so etwas wie frühe Senkwehen sein.«
»Aber ich habe noch drei Monate«, warf ich ein, fast flehentlich.
»Wenn es schlimmer wird, dann geh bitte zum Arzt«, sagte sie noch.
Also quälte ich mich weiter hinauf, unter die gläserne Kuppel, die Hand immer an der Reling, den Blick auf den Boden und nicht auf die wunderbare Aussicht über die Stadt geheftet. Auf dem Rückweg konnte ich nicht anders, als meinen Plan zu ändern. Ich fühlte mich außerstande, David wie geplant zum Flughafen zu bringen, und erklärte ihm, welche Bahn- und Busverbindungen er nehmen müsse. Ich selbst fuhr auf schnellstem Wege nach Hause und legte mich trotz sommerlicher Temperaturen mit einer Wärmflasche im Rücken ins Bett. Erst so geriet ich wieder in einen halbwegs erträglichen Zustand. Als Tibor abends nach Hause kam, ging es mir besser, aber etwas weinerlich war ich dennoch.
»Es ist nicht wegen dir«, schluchzte ich halblaut in Richtung meines Bauches, »du sollst dich geborgen fühlen. Du bist angenommen. Alles ist gut, Julius. Mama tut nur der Rücken weh.«
Wenn mir in diesem Moment jemand gesagt hätte, dass Julius das ohnehin nicht verstehen könne, so hätte ich ihm widersprochen: Natürlich konnte mein Sohn die Stimmung fühlen, die ich mit meinen Sätzen ausdrücken wollte.
»Wie falsch die Leute liegen, die meinen, man könne nicht mit ungeborenen Babys sprechen, nur weil man sie noch nicht sehen kann«, hatte mir die Hebamme bei ihrem Besuch gesagt, »und das nur, weil eine Bauchdecke dazwischen ist, eine dünne Hautschicht …«
So empfand ich das auch: Julius hörte mein Magengrummeln nach dem Chili, er hörte die Musik, die bei uns im Wohnzimmer lief, genauso wie den Lärm draußen auf der Straße. Warum sollte er bei allem in der Welt nicht mein Schluchzen hören – und meine tröstenden Worte ihm gegenüber?
An diesem Wochenende stand eine weitere musikalische Großoffensive für Julius auf dem Programm – wir wollten zu Max Raabe und seinem Palastorchester in die Waldbühne, meine Mutter und mein Bruder Sebastian hatten uns die Karten geschenkt. Es war ein wunderbares Konzert, Julius konnte sich kaum halten vor Begeisterung und hüpfte und sprang in meinem Bauch hin und her, dass es eine Freude war – für mich allerdings eine nicht ganz ungetrübte: Mir wurde das Sitzen ohne Lehne auf der harten Bank zu schwer, und wir mussten das Konzert leider schon vor dem letzten Lied verlassen, weil meine Rückenschmerzen wieder stärker wurden. Erschöpft, aber glücklich stiegen wir in die S-Bahn nach Hause. Julius, dachten wir, mag Musik genauso wie Mama und Papa.
Meine Schwangerschaft wurde zwar von Tag zu Tag beschwerlicher, aber ich war dennoch froh über jeden Tag, den sie anhielt. Ich war glücklich über die Zeit, die ich mit meinem Sohn verbringen konnte, und ich war wie elektrisiert von dem Gedanken, Julius möglichst viel zu zeigen von der Welt, auf der er nur so kurz weilen durfte.
So wachte ich am Tag nach dem Max-Raabe-Konzert, einem wunderschönen Sommersonntag, schon in aller Frühe auf und blinzelte Tibor an: »Wir müssen heute mit Julius baden gehen. Wer weiß, wie oft wir das noch können …«
Gesagt, getan. Wir holten uns die Handys und suchten auf den Seiten der Berliner Bäderbetriebe nach einem geeigneten Bad, denn wir waren noch nie schwimmen gewesen, seit wir in Berlin lebten – im Mai und Juni hatten wir andere Sorgen gehabt, der Juli war verregnet, doch jetzt war es so weit. Nun wollte ich den Schwangerschaftsbikini einweihen, der seit Monaten unbenutzt im Schrank lag! Tatsächlich wurde es ein wunderschöner Tag am Badesee Jungfernheide. Für mich war das ein wunderbar leichtes Gefühl, mit dem dicken Bauch im Wasser zu schwimmen, und auch Julius genoss sicherlich die neue Erfahrung. Abends war ich erledigt und entspannt – und die Rückenschmerzen waren fast weg! In der Nacht zum Montag setzten dafür heftige Krämpfe im Unterleib ein.
Wir hatten an diesem Montag in der Mittagszeit einen Termin zum Routineultraschall im Krankenhaus, was mir nur recht war, denn meine Krämpfe waren inzwischen besorgniserregend. In meinem medizinischen Nachschlagewerk über die Schwangerschaft hatte ich von sogenannten
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