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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
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Braxton-Hicks-Übungswehen gelesen, die manchmal in der achtundzwanzigsten SSW vorkommen können. Dazu wollte ich Dr. Abou-Dakn befragen.
    Tibor konnte sich mittags freinehmen und kam zur Untersuchung dazu. Diesmal gelang es mir wegen der Krämpfe nicht, gegenüber dem Arzt so entspannt zu sein wie sonst.
    »Dr. Abou-Dakn, nur zur Info, ich habe seit heute Nacht im Unterleib starke Krämpfe.«
    »Das schauen wir uns mal an.«
    Er bat mich zum Ultraschall auf die Liege. Tibor stand wie immer neben mir und hielt meine Hand. Zuerst schallte der Arzt meinen Bauch, doch nach kurzer Zeit sagte er, er könne das Köpfchen von Julius schon nicht mehr finden, da sich das Baby bereits in Richtung Geburtskanal gesenkt habe. Er untersuchte weiter und stellte fest, dass mein Muttermund bereits ein bisschen geöffnet war.
    »Frau Bohg, das sind keine Übungswehen, das sind Senkwehen!«
    Tibor und mir liefen auf der Stelle die Tränen. Wir wussten auf einen Schlag, dass es nun ernst wurde, denn das, was für andere Eltern das Kennenlernen bedeutete, würde für uns den Abschied bedeuten.
    »Jetzt ziehen Sie sich erst mal an, dann reden wir weiter.«
    Es war bewundernswert, wie dieser Arzt in wirklich jeder Situation nicht nur seine Fassung, sondern auch seine positive, beruhigende Art bewahren konnte.
    Als wir ihm im Besprechungszimmer gegenübersaßen, liefen meine Tränen trotzdem noch.
    »Wollen Sie ein wehenhemmendes Mittel?«
    Wenn ich ein gesundes Kind getragen hätte, hätte ich selbstverständlich ja gesagt, weil es besser für das Baby gewesen wäre. Aber so? Warum sollten wir der Natur entgegenwirken? Warum sollten wir den Weg, den Julius nehmen wollte, mit Medikamenten beeinflussen? Wir sahen einander nur kurz an und wussten jeweils, was der andere dachte. Beide schüttelten wir traurig den Kopf. Dr. Abou-Dakn nickte, er hatte uns auch wortlos verstanden.
    »Ich sage auf der Station Bescheid, dass die Bohgs wahrscheinlich in den nächsten Tagen kommen. Ich gebe Ihnen maximal drei Wochen, aber ich glaube, ich sehe Sie in drei, vier Tagen wieder …«
    Mir schoss durch den Kopf, dass wir nächste Woche mit Julius zum Basketball gehen wollten, wir hatten schon die Tickets für ein Spiel, bei dem Dirk Nowitzky auf dem Feld sein würde – sollte das nicht mehr klappen? Durfte unser Julius dieses Spiel nicht mehr erleben? Ich wurde innerlich wütend auf Gott. Warum nahm er mir auch noch diese drei Monate, die mir doch zustanden? Ich hatte ohnehin nur diese vierzig Schwangerschaftswochen – warum sollte in der achtundzwanzigsten Schwangerschaftswoche alles plötzlich zu Ende sein? Meine Gedanken rasten.
    Unter Schock verabschiedeten wir uns von Dr. Abou-Dakn. Ich musste auf die Toilette, wie so oft während meiner Schwangerschaft, aber nun war ich nicht sicher, ob ich dringender aufs Klo musste oder nur einen abgeschlossenen Raum brauchte zum Weinen. Als ich mit roten Augen herauskam, sah ich meinen Mann schluchzend auf mich warten – es bringt doch nichts, sich dabei zu verstecken, dachte ich, und fiel ihm in die Arme. Nun wussten wir, dass wir keine drei Monate mehr hatten, so wie der Termin ursprünglich berechnet war, sondern höchstens drei Wochen. Vielleicht sogar nur drei Tage!
    Verheult, wie wir waren, gingen wir hoch zu Frau Dr. Schmidt, bei der wir auch einen schon vor Wochen vereinbarten Termin hatten, und ich erzählte ihr von der Untersuchung eben: »Dem Kleinen geht es gut, aber der Muttermund ist schon einen Zentimeter weit offen! Wenn er tatsächlich jetzt geboren wird, wünschen wir uns nur eines von ganzem Herzen: dass er noch lebt, wenn wir ihn in unsere Arme nehmen können!«
    Die Ärztin bemühte sich, uns zu beruhigen: »Manche Frauen haben drei Monate einen offenen Muttermund, und es passiert nichts …«
    Wir wussten, dass sie es gut mit uns meinte, aber wir fühlten, dass das in meinem Fall nicht so sein würde. Also gingen wir sicherheitshalber gleich miteinander den Geburtsplan durch, in dem wir unsere Wünsche formuliert hatten. Frau Dr. Schmidt war mit allem einverstanden und bat uns darum, ihr den Plan per E-Mail zu schicken, damit sie ihn ihrem Kinderärzteteam geben könne. Wir sprachen darüber, dass nicht abzuschätzen sei, wie lange Julius noch bei uns bleiben würde, und wollten wissen, wie es dann weiterginge – was passieren würde, wenn Julius gestorben sei.
    Die Ärztin begann, etwas auf ihrem Schreibtisch zu suchen.
    »Ich habe unlängst einen Artikel gelesen, da ging es

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