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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
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erst mal erleichtert und erstaunt sei, dass sie mich so fröhlich sehe.
    »Du wirkst gelassen, du ruhst total in dir …«
    Diesen Satz konnte ich voll und ganz annehmen – ja, ich ruhte in mir. Ich war eine glückliche Schwangere, stolz auf meinen Bauch, erfreut über all die kleinen aufmerksamen Gesten von Fremden in meinem Alltag.
    Außer meinen Bruder Sebastian trafen wir nach unseren viereinhalb Wochen totaler Abgeschiedenheit auch ab und zu Tibors Großvater und dessen Lebensgefährtin Heidi. Die beiden leben in einem Häuschen mit Garten im südlichsten Zipfel des Berliner Bezirks Steglitz. Wir saßen damals ein paar Mal mit Opa und Heidi im Garten, meistens bei Kaffee und Kuchen. Mir war es wichtig, dass Julius seinen Uropa und Heidi kennenlernt, dass er ihre Stimmen hört, ihre Nähe fühlt.
    Am liebsten saß ich aber zu Hause in meinem Sessel. Von dort blinzelte ich in die Sonne über dem Hof, lauschte dem Blätterrauschen der Pappeln dort draußen und dem Vogelgezwitscher in den Baumkronen und sang für Julius:
    Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls,
    keine Laune der Natur,
    ganz egal, ob du dein Lebenslied
    in Moll singst oder Dur.
    Du bist ein Gedanke Gottes,
    ein genialer noch dazu.
    Du bist du – das ist der Clou,
    ja der Clou: Ja, du bist du …
    Manchmal bekam ich den Refrain des Liedes kaum heraus vor Heulen und Schluchzen, aber ich konnte nicht anders, als immer wieder damit anzufangen, wie ein Mantra, das man immer und immer wiederholen muss, damit es seine geheimen Kräfte entfalten kann.
    Manche dieser Sachen erzählte ich bei meinen Besuchen bei der Psychologin: »Frau Fricke, ich habe gestern überhaupt nichts geschafft. Ich habe nur im Bett gesessen und geschlafen und geheult …«
    »Frau Bohg«, sagte sie seelenruhig und geduldig, »ihre Seele leistet Schwerstarbeit. Wie ein riesengroßer Muskel unter einer enormen Anstrengung. Unterschätzen Sie das nicht, Frau Bohg. Das ist in Ordnung.«
    Da war er wieder, dieser Satz.
    »Das ist in Ordnung.«
    Was immer wir erzählten, von unseren Zusammenbrüchen, von meinem erstarrten Im-Bett-Liegen, meiner Menschenscheu, unserer Verzweiflung.
    »Das ist in Ordnung.«
    Von meiner Zukunftsangst, von meinen Selbstzweifeln, von der riesengroßen Trauer, die wie eine Wolke über mir hing.
    »Das ist in Ordnung.«

[home]
    Der Weckruf
    I n meiner dreiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche hatte Julius wie schon einmal zuvor eine Schlafwoche – er rührte sich nicht, klopfte nicht an die Bauchdecke, polterte nicht mal in mir umher, wenn ich mit der rumpelnden U 7 fuhr, der Lieblings-U-Bahn-Strecke meines Sohnes. Das waren dann wohl die Zeiten, in denen er nur wuchs, normalerweise vielleicht kein Grund zur Besorgnis. Uns hatte man aber mitgeteilt, dass Julius vielleicht schon sterben würde, während er noch in meinem Bauch ist. Vielleicht stirbt er schon jetzt, dachte ich in dieser Woche immer wieder voller Panik, vielleicht trage ich ein totes Baby in mir.
    Ich legte mich tagsüber immer wieder aufs Bett, um ihn besser spüren zu können, doch es tat sich nichts. Ich klopfte auf den Bauch – nichts. Ich fuhr wieder mit der U-Bahn – nichts. Tibor begrüßte den Kleinen wie immer überschwenglich, als er abends nach Hause kam – nichts. Ich war ratlos, hilflos, verzweifelt. Also griff ich zum letzten Mittel, das ich mir vorstellen konnte, zu einer Spieluhr. Die sah von außen aus wie ein Kuscheltier, Suse hatte sie mir bei ihrem Berlinbesuch mitgebracht. Ich mag solche Spieluhren nicht, sie erinnern mich an irgendeinen Psychothriller. Ich hatte sie in einem der Schränke verstaut. Nun kramte ich sie mühsam hervor, zog sie auf und legte mir das Stofftier, das schon seine Melodie abspielte, auf den Bauch.
    »Julius, das wird deinen Ohren jetzt vielleicht noch mehr weh tun als meinen, aber bitte tu mir den einen Gefallen und bewege dich!«
    Julius begann schon bei den ersten Tönen so schnell zu strampeln, dass ich selbst erschrak und die Uhr schnell unter ein Kissen stopfte, wo sie weiter vor sich hin dudelte.
    »Ist gut, Julius. Tut mir leid! Ich wollte nur wissen, dass es dir gutgeht. Alles okay, wir müssen nicht ins Krankenhaus! Kannst weiterschlafen.«
    Das Leben lief weiter nach diesem Weckruf, doch dessen Wirkung blieb mir bis auf weiteres erhalten. Bewegte sich Julius genug? War er noch da? Wir wussten genau, dass die Zeit gegen uns lief, Tag für Tag.
    Wir unternahmen so viel es ging miteinander. Wir wollten in der kurzen Erdenzeit

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