Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
Vom Netzwerk:
Hochsommer, und es sah so aus, als wären ausschließlich gut gelaunte Menschen auf den Straßen, aber das war wohl nur mein Eindruck. Heute ist der zweiundzwanzigste August, dachte ich, dieses Datum muss ich mir merken.
    »Viel Glück, alles Gute!«
    Das war der Taxifahrer bei der Verabschiedung. Ich bekam alles wie durch Nebelschwaden mit. Hinter dem Empfangstresen saß wieder eine Nonne in ihrem schwarz-weißen Gewand. Ich hielt mir instinktiv den Bauch, weil ich das Gefühl hatte, ihn sonst nicht mehr tragen zu können.
    »Wo geht es hier zum Kreißsaal?«, presste ich hervor, so gut ich konnte. Seit ich wieder auf den Beinen sein musste, ging es mir deutlich schlechter. Eigentlich hatte ich den Kreißsaal vor der Geburt noch besichtigen wollen, aber dafür war es nun zu spät.
    Die alte Dame sah ruckartig von ihrer Arbeit auf.
    »Soll ich oben Bescheid sagen, dass Sie kommen?«, fragte sie freundlich.
    Ich überlegte kurz, aber mir fiel nichts ein.
    »Ich weiß nicht … ich habe alle drei Minuten Wehen.«
    Die Nonne sah mich schockiert an und griff nach dem Telefonhörer. »Natürlich sage ich Bescheid«, sagte sie sofort, »erster Stock, dort hinten ist der Aufzug!«
    Oben angekommen, standen wir vor einer verschlossenen Glastür und mussten klingeln. Ich läutete, eine neutrale Stimme meldete sich aus der Gegensprechanlage. »Ja, bitte?«
    Was bitte sollte ich jetzt wieder für ein Zauberwort finden, damit die Türen endlich aufgehen würden?
    »Ich habe alle drei Minuten Wehen …«
    Bling.
    Ohne weiteren Kommentar ging die Tür von selbst auf, elektrisch, und eine Schwester kam herbeigeeilt.
    »Wir sind Familie Bohg«, konnte ich noch sagen. Die Schwester wusste gleich Bescheid. In mir entstand in diesem Moment ein Gefühl von Geborgenheit. Verwundert stellte ich fest, dass es die Hebamme richtig eilig zu haben schien. Ich kramte noch im Gehen in meiner Handtasche, um ihr unseren Geburtsplan zu übergeben.
    Ich ging mit ihr allein in ein Behandlungszimmer, sie untersuchte mich kurz. Als ich wieder nach meinen Sachen griff, schüttelte sie den Kopf und reichte mir einen dieser typischen Krankenhauskittel.
    »Sie können sich gleich umziehen. Der Julius hat es eilig, seine Eltern kennenzulernen. Wir gehen gemeinsam in Kreißsaal vier.«
    Ungläubig starrte ich sie an, aber tat, wie mir aufgetragen. Tibor wartete draußen. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihm. Ich brauchte ihn jetzt. Ich brauchte seine Nähe, seine Liebe und Fürsorge wie noch nie in meinem Leben.
    Wir gingen über den langen Gang in das hinterste Zimmer.
Gebärstube vier,
stand auf der Tür.
    »Hier haben Sie einen Gymnastikball, wenn Sie eine entlastende Haltung wollen zwischendurch …«, begann die Hebamme das Angebot zu erklären, aber ich winkte nur ab.
    »Danke, brauch ich nicht. Ich will mich nur hinlegen. Und Tibor bei mir haben …«
    Dann waren Tibor und ich allein, mit Julius. Wie es ihm jetzt wohl ging? Ich lag auf dem Bett und starrte auf die weiße Decke. War es nun schon so weit? Die Geburt unseres ersten Sohnes, unseres Wunschkindes?
    »Und wahrscheinlich auch sein Tod«, ergänzte eine Stimme aus einer anderen Ecke meines Bewusstseins.
    Freude und Schmerz, alle möglichen Emotionen mischten sich in mir auf engstem Raum, immer wieder von Wehen unterbrochen. Über allem lag tiefer Frieden. Ja, ich hatte Wehen in kurzen Abständen; ja, die Emotionen überschlugen sich scheinbar – und dennoch waren Tibor und ich ruhig und einander innig verbunden.
    In all diesem Geschehen fiel mir ein, dass ich noch Susel Bescheid geben wollte, dass wir bereits im Kreißsaal lagen. Ich ließ mir von Tibor mein Handy geben und versuchte, sie zu erreichen, aber sie ging nicht ran.
    Sprechen hätte ich ohnehin nicht können, weil mich die nächste Wehe schon ins Kissen presste. Kurze Zeit später vibrierte mein Handy. Jetzt konnte ich nicht antworten, da ich versuchte, eine weitere Wehe zu veratmen. Kurze Zeit später sandte sie eine SMS :
    Alles in Ordnung? Du hast angerufen? War bei Oskar eingeschlafen. Wieder munter. Gib bitte kurz Zeichen!
    Zwischen zwei Wehen sagte ich Tibor, er solle Susel anrufen und sie informieren. Tibor erreichte sie und erklärte kurz: »Es ist so weit, wir sind im Kreißsaal. Schöne Grüße von Constanze, sie kann grad nicht reden. Die Wehen kommen zu schnell hintereinander. Ich muss aufhören …«
    Susel erzählte mir später, dass sie die kurze Nachricht aus Berlin völlig schockiert zurückgelassen

Weitere Kostenlose Bücher