Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
muss nur meinem ausgestreckten Arm folgen. Dort vorne steht es, das Tier aus meinem Traum.
Und plötzlich … ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen oder schreien soll … plötzlich ist da nichts mehr. Paula und ich sitzen nebeneinander im Bett, zwei kleine Mädchen in der Nacht, eines in kalter Panik, immer noch den blassen Arm in das dunkle Zimmer ausstreckend, das andere verwirrt und ärgerlich. Sie fragt mich, warum ich sie an den Haaren gezogen habe. Sie fragt mich, ob ich nun völlig den Verstand verloren habe. Und als ich ihr von dem großen Tier erzählen will, das ich doch ganz eindeutig gesehen habe, da brüllt sie mich an, dass ich mir endlich Hilfe holen soll, dass ich endlich zu diesem Psychiater gehen soll.
Aber ich bin nicht verrückt, ich weiß, dass es da war. Es stand zwischen Wand und Kleiderschrank und ich konnte seine Zähne sehen. Paula umarmt mich erst, als mir die Tränen runterlaufen. Als sie mich hält, da schaue ich über ihre Schulter zu der Stelle, an der das schwarze Tier stand. Ich habe furchtbare Angst, dass es wiederkommt.
Erklärungen
Ich habe es ihr angesehen, ich habe Paula angesehen, was sie von der Sache hält. Aber sie hat die Klappe gehalten und mir geholfen, die schwere Matratze ins Wohnzimmer zu zerren. Ich habe das Gefühl, dass es hier sicherer ist, dass uns hier nichts passieren wird. Woher dieses Gefühl kommt? Keine Ahnung … aber es ist eben da. Ich werde auf keinen Fall zurück ins Schlafzimmer gehen.
Paula legt sich auf die große Matratze und wickelt sich in ihre Decke. Ich lege mich zitternd neben sie, nur langsam erwärmt sich mein Körper.
„Können wir nicht doch in ein Hotel gehen?”
Das wäre das Sicherste, noch sicherer als das Wohnzimmer. Einfach abhauen, einfach weg von hier.
„Ach Lena, da haben wir doch gerade drüber gesprochen. Lass und jetzt bitte schlafen. Es ist bald vier und ich kann morgen nicht bis zwölf im Bett bleiben.”
„Glaubst du mir, dass ich was gesehen habe?”
„Ja, ich glaub dir, dass du was gesehen hast. Aber geh bitte auch zu diesem Psychiater. Okay?”
„Okay”, sage ich und will sie küssen. Sie dreht sich weg und macht eines ihrer Geh-mir-nicht-auf-die-Nerven-Geräusche, eine Art Schmatzen mit anschließendem Einatmen.
Gut, dann eben nicht. Ich lege mich auf den Bauch und mache die Augen zu. Seltsamerweise weiß ich, dass das Tier hier in unserem großen Wohnzimmer nicht auftauchen wird. Es ist nur ein Gefühl, allerdings ein starkes, deutliches Gefühl. Besser kann ich es nicht beschreiben. Mein Körper erwärmt sich und ich schlafe ein.
Das Rauschen der Dusche ist das erste, was ich höre. Dann Vogelgezwitscher und einen Hubschrauber, der über das Haus knattert. Ich stehe auf, gehe ins Bad, trinke ein Glas Wasser und putze mir die Zähne.
„Gibst du mir mal das Handtuch?”
Paula dreht das Wasser ab und ihr Arm kommt hinter dem Duschvorhang hervor. Ich reiche ihr das große Badetuch und schrubbe mir den Belag von den Zähnen.
„Konntest du noch ein paar Stunden schlafen?”
Ja, konnte ich. Mit dem Mund voller Zahnpastaschaum murmle ich etwas, das nach Zustimmung klingt. Ich verschlucke mich und huste hellblauen Schaum ins Waschbecken.
„Putz erst mal fertig”, sagt Paula. Sie steigt nackt aus der Wanne und im beschlagenen Badezimmerspiegel sieht sie aus wie einem dieser Weichzeichner-Erotikfilme entsprungen, die in den Siebzigern gedreht wurden.
„Nicht dass du mir hier noch erstickst.”
Paula haut mir auf den Hintern und verlässt pfeifend das Badezimmer. Ich putze fertig und steige in die vorgewärmte Wanne. Als wir beim Frühstück sitzen, ist es kurz nach halb zehn.
„Wann musst du eigentlich los?”
„In zwanzig Minuten”, antwortet Paula. „Was ist mir dir, gehst du heute zur Uni?”
„Ja, aber erst um zwölf.”
Ich trinke von meinem Kaffee und sehe über den Rand der Tasse hinweg, dass Paula mich anschaut. Ihr Gesichtsausdruck ist auf einmal sehr ernst, sie macht sich Sorgen um mich. Kein Wunder nach meinem Verhalten letzte Nacht. Ich kann ihr nicht einmal übel nehmen, dass sie mir nicht glaubt. Als sie gestern Nacht sagte, sie glaube mir, da wollte sie einfach in Ruhe gelassen werden.
„Und? Rufst du heute bei diesem Psychiater an?”
„Ja, mach ich.”
„Versprochen?”
„Ja, versprochen … aber ich bin mir eigentlich sicher, dass ich mir das heute Nacht nicht eingebildet habe. Da war wirklich was in unserem Schlafzimmer. Und auch die Sache mit dem Kleid,
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