VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
einundzwanzig Jahre alt und wird sterben. Bald. Die sinnreich gezüchteten Erreger haben sich auch auf seiner Pelle eingenistet und verwandeln die Chips in den Titantaschen zu Matsch. Eddon schreitet all die Messstationen ein weiteres Mal ab und berührt eine nach der anderen. Sie sinken langsam hinter ihm zusammen, als schmölzen sie in der gemächlichen Hitze unsichtbarer Feuer. Er blickt sich nicht um. Bei den letzten beiden Messstellen beginnt seine Schutzhülle sich aufzulösen und hängt herab wie bei einem Reptil, das sich häutet. Das Titan der Novizentaschen wird zu einem grauen Brei und rinnt unangenehm heiß an seinen Beinen herunter. Die hauchdünne Körperhülle, die ihn Zeit seines Lebens umgeben hat, ist weg. Eddon hat das Gefühl, dass sein Körper einer wesentlichen Stütze beraubt ist, dass er auseinanderfließt. Er spürt Fett an sich herunterhängen. Er kennt das nicht, er ist es gewöhnt, in eine straff sitzende Folie eingepackt zu sein. Er ist zum ersten Mal in seinem Leben nackt, soweit er sich erinnern kann. Als er stehen bleibt und seinen Körper abtastet, der sich plötzlich völlig ungewohnt anfühlt, spürt er, dass sogar die Insignien der Bruderschaft sich verflüchtigen. Die goldenen Ringe, die in seine Haut eingelassen sind und den einen und den anderen Körperteil umspannen, werden weich und nachgiebig.
Seine Vergangenheit, sein Rang, seine Zukunft – alles das verschwindet und lässt etwas zurück, mit dem er nichts zu tun haben möchte. Der Wind kühlt seine Geschlechtsteile ab. Seine Hoden beginnen zu schmerzen. Er achtet nicht darauf. Er wird sie nicht brauchen, es wird nie eine erquickliche Geldheirat geben, keine Investitionen in die Zukunft. Alle seine Investitionen sind in die Gesamtvollstreckung gegangen; 22-mog getilgt, alle Verfahren mangels Masse eingestellt. Eddon starrt auf die Reste von Casbah Masaki hinunter. Das ist ein Loch, aus dem merkwürdig gefärbte Dämpfe aufsteigen. Schon jetzt kann niemand mit Sicherheit nachweisen, wer da etwas installiert hatte, selbst wenn es noch Jahre dauern wird, bis die letzten Spuren der Station vollständig getilgt sind. Ich zersetze mich auch, denkt Eddon, und während seine Insignien verschwinden, verabschiedet er sich von seinem Namen, seinem Rang und seinen Hoffnungen.
Er aktiviert in seinem vernetzten Hirn ein Programm und verwendet es für Zwecke, für die es eigentlich nicht gedacht war. Alle seine implantierten Speicher werden neu initialisiert, alle Informationen vernichtet und durch köstliche, kühle Leere ersetzt. Weg mit den Messdaten dieses feuchten Planeten, weg mit den Erinnerungen an die Regenwelt. Die Beine geben unter Eddon nach, als seine Fähigkeit dahinschwindet, mit einem Netz in Kontakt zu treten und seine internen Speicher und elektronischen Gehilfen zu konsultieren. Das war einer der wichtigsten Teile seines Lebens. Er fühlt sich, als habe man eines seiner wesentlichsten Körperteile mit einem sauberen, schmerzlosen Schnitt abgetrennt.
Sogar sein Name, Eddon-22-mog, kommt ihm fremd und belanglos vor. Wessen Eddon? Und was für ein »mog«? Was soll die 22, so alt ist er doch gar nicht. Er liegt auf dem kalten nassen Boden – ein völlig neues Gefühl –, und er schließt die Augen, als sanfte kühle Finger an ihm zupfen und ihn ganz langsam, fast zärtlich unter die Erde ziehen.
5. Die Vergangenheitsform von Sein
Die Maschine, die Elizas Armstumpf in ihre elektronischen Innereien gesaugt hatte, passte so perfekt in dieses Zimmer, dass es Eliza schwindelte. Die kaum spürbaren Berührungen der Sensoren auf und in der alten Wunde hatten mit der Gleichgewichtsstörung nichts zu tun. Der Übergang von den nässetriefenden Ebenen Vilms in die durchperfektionierte Inneneinrichtung der Armorica war zu schnell gegangen. Es presste ihr die Luft ab, als hätte man ein Seil straff um ihren Hals geschlungen. Eben hatte sich Eliza Simms mit Typen in Hochsicherheitsklamotten gestritten, die partout nicht begreifen wollten, wieso nicht alles, was zwei Beine hatte, schnurstracks in die Evakuierungsshuttles rannte. Dann hatte sie verhindert, dass aufgebrachte Vilmer auf einen ahnungslosen Techniker losgingen, der ein Gestrolch weggebrannt hatte. Er brauchte Platz für die Installation irgendeines hochtechnologischen Wunderdingsdas. Natürlich war der Mann vollkommen ahnungslos gewesen, dass es sich bei dem unansehnlichen Gewächs um eines der hoffnungsvollsten Projekte der Forschungsgruppe Rätselfrüchte gehandelt
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