VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
kantigen, mit Planen verspannten Traglasten. Irgendwelche Geräte wohl, alle sorgfältig verpackt. Das könnten sie einfacher haben, dachte Kevin. Die Lager der Armorica waren prall gefüllt, wenn auch nicht jedem und nicht zum Nulltarif zugänglich.
Stunden später setzte er sich auf einen knarrenden Sessel neben Hubert Cass, der wie jeden Abend allein vor der Tür saß, unter einem windschiefen Vordach. Dann schauten sie beide eine Weile in die Dämmerung, wo im ewigen Regen allmählich die Dunkelheit herankroch und meistens eines dieser hundeähnlichen Tiere in Sichtweite herumhockte. »Regnet es tatsächlich immerzu auf Vilm? Oder gibt es auch mal besseres Wetter?«, fragte Kevin und ärgerte sich über seine selten dämliche Frage. Er klang wie ein Tourist, den das viele Wasser im Ozean störte.
»Es soll Tage geben, an denen die Sonne scheint, aber sie sind sehr selten. Ich habe noch keinen erlebt«, gab Cass ungerührt zurück.
»Ihr sucht doch Geräte aus dem Gebirge, oder?«, fragte Kevin und merkte abermals, wie ungeschickt er war. Die ungewohnte Kälte kroch in seine Kleidung und machte ihm zu schaffen. Kevin ärgerte sich über seine Dummheit. Das aus eisigem Wasser bestehende Wetter beeinträchtigte seine Intelligenz.
Cass blickte ihn an, als wäre er bei etwas gestört worden, das sich weit weg abgespielt haben musste. »Nicht nur«, sagte er dann.
»Was noch? Ich will nicht neugierig sein, ich könnte möglicherweise helfen ...«
Cass betrachtete den Fremden ungerührt. »Das ist nicht notwendig.«
»Es gibt da eine Art elektronischen Taster, mit solchen Dingern kann man die meisten Apparate auf einige Entfernung hin gezielt orten, auch wenn sie ausgeschaltet oder defekt sind.« Noch während Kevin sprach, war draußen, hinter dem herunterprasselnden Regen und über den Wolken, die Nacht angebrochen, und Cass stellte den alten Klappstuhl, den er jeden Abend benutzte, in seinen Verschlag. Danach verschwand er, ohne etwas zu seinem Gast zu sagen. Kevin sah ihm verblüfft nach und schüttelte den Kopf. Nun denn, dachte er, es sind Wilde. Etwas beschädigt. Etwas seltsam im Kopf von dem Absturz und den einsamen Jahren auf diesem Planeten. Etwas verwirrt vor lauter Wurbls. Vielleicht sind ja schädliche Substanzen in den hässlichen Früchten, die sie voller Begeisterung ernten. Vielleicht sind die alle ein bisschen gestört, so wie Carl Carlos junior, der einen berühmten Menschen wie Kevin einfach komplett ignorierte.
Am nächsten Morgen erwachte Kevin von einem ungewohnten Geräusch. Er blieb liegen und versuchte herauszufinden, was ihn geweckt hatte. Alles war still. Da war kein Geräusch. Natürlich: Es regnete nicht, das stete Tröpfeln und Rinnen war verstummt. Das Dauergeräusch des Planeten fehlte. Kevin griff sich hastig den bereitliegenden Apparat. Von diesem ungewöhnlichen Ereignis musste er rasch Aufnahmen machen. Er hatte angenommen, dass es immer regnete; dass es gelegentlich Pausen gab, hatte ihm niemand gesagt. Nun ja, gesagt schon. Er hatte es nicht geglaubt. Draußen schimmerte fahles Frühlicht, und eilig ziehende Wolken sahen stumpf und faserig aus. Wie fotografiert man die Abwesenheit von Regen? So etwas brachte einem niemand bei. Kevin schoss einige Weitwinkel-Aufnahmen und ließ die Linse sich in Normalposition begeben, um eigenartige Farbeffekte am Rande der Lichtung festzuhalten. Als er wieder aus dem Fenster sah – er hatte für Sekunden auf seinen Apparat geschaut – stand jemand dort. Kevin war mucksmäuschenstill, nur sein Apparat summte leise, als er Aufnahme um Aufnahme machte.
Es war Tom, der dort stand, der älteste Sohn der Familie Cass. Er war nicht das leibliche Kind von Hubert, aber das nahm keiner so genau auf Vilm, wo es nach dem Absturz kaum noch vollständige Familien gab. Tom war splitternackt und seifte sich mit langsamen Bewegungen ein. Das hundeartige Tier, das natürlich in der Nähe war, lag flach auf dem schlammigen Boden und hatte den Kopf erhoben, als wittere es die Wolken. Kevin ließ, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, den Apparat weiterlaufen. Irgendwie hatte er geahnt, dass die Kinder auf Vilm sich von Gleichaltrigen auf anderen kolonisierten Welten unterschieden. Jetzt, durch den Sucher seiner Kamera, wurde es ihm klar. Der Dreizehnjährige dort zeigte einen gedrungenen und untersetzten Körperbau, als würde er täglich stundenlang schwer trainieren. Dabei hatte Kevin hier noch nie Kinder Sport treiben gesehen. Hier spielte jeder
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