VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
über behinderten sie die unkontrollierten Bewegungen des neuen Arms, der auf Signale reagierte, die Eliza nicht steuern konnte. Die Finger krümmten und streckten sich, das Handgelenk rotierte, und der Ellbogen war unaufhörlich dabei, zu irgendwelchen Aktionen anzusetzen. Eliza regulierte die Empfindlichkeit der Prothese auf ein Minimum herunter, sodass von dem Zucken nur noch ein leichtes Vibrieren übrig blieb.
Unbehaglich durchlief sie die strengen Kontrollen, um in das Shuttle zurück nach Vilm steigen zu dürfen. Dabei begegneten ihr wieder Karnesen, und sie konnte es nicht lassen: Eliza starrte die Schwerweltmenschen an, als habe sie nie einen gesehen. Das waren die einzigen Leute gewesen, mit denen sogar Lafayette sich nicht anlegen wollte. Auch das beste Auswahl-Training brachte einem nicht bei, wie man über drei Zentner Mann in die Knie zwingen sollte, die selbst zwanzig Minusgraden gegenüber völlig unempfindlich waren. Das war umso unmöglicher, da Karnaleute ständig am Essen waren, weil ihr Stoffwechsel jederzeit auf Hochtouren lief. Deren Kampfdroge ist das siebente Frühstück gegen halb elf, hatte Grégoire gescherzt. Seit wie vielen Jahren hatte Eliza keinen dieser erstaunlichen Fleischberge gesehen? Wie groß war eigentlich der Teil ihres Lebens, der zu Vilm gehörte? Und wem gehörte der Rest? Und wieso kamen ihr die aufdringlichen bunten Symbole, die jeder an Bord des Weltenkreuzers an der Brust und am Oberarm auf die Kleidung aufgenäht trug, so albern und entwürdigend vor? Hatte sie nicht selbst einst Tag für Tag ein farbig leuchtendes Logo getragen? Eliza wachte erst aus dem Grübeln auf, als eine wie zum diplomatischen Empfang aufgedonnerte und aufdringlich nach synthetischen Blüten riechende Dame am Abflug sie nach ihrem Status befragte. Auf Atibon Legba pflegte man sich zu den Zeiten bestimmter Modediktate derart aufzubrezeln. Sogar Zentralier machten solchen Unsinn mit, wie Eliza sah.
»Eliza Simms. Zentralierin, nicht wahr, meine Liebe?« Dabei blickte der Luxus-Zerberus auf eine halbdurchsichtige Projektion, die plastische Buchstaben praktisch wie aus dem Nichts in der Luft erscheinen ließ. Wie modern, dachte Eliza, das muss ein Vermögen gekostet haben. Und der ganze Aufwand nur, um unwissende Reisende zu beeindrucken. Zentralier brauchten so was nicht. Die Bilder, die ein Kontakt mit der roten Linie im eigenen Bewusstsein erscheinen ließ, waren allem überlegen, was Technik auf die Bildschirme auch der besten Systeme zaubern konnte.
»Ich war früher einmal eine von euch, das stimmt«, sagte Eliza und berührte mit der gesunden Hand die rote Linie, die an der Wand entlang vorbeiführte, worauf natürlich überhaupt nichts passierte. »Das ist vorbei.«
»Ich verstehe nicht. Sie sind doch Zentralierin?« Die Dame ließ nochmals lange Datenreihen vorüberlaufen und runzelte ihre gepuderte Stirn. Die Wirklichkeit wagte es, nicht mit ihren Dateien übereinzustimmen.
Eliza lächelte und nahm die Hand von der Kontakterlinie. »Vergangenheitsform, meine Liebe«, sagte sie und ging. Das Shuttle würde in wenigen Minuten ablegen. Drei Stunden später, wieder in Vilm Village angekommen, löste sie als Erstes das Folterinstrument von ihrer Schulter und fragte sich, ob sie sich je an dieses von Krämpfen geschüttelte Gebilde gewöhnen würde. Sie atmete tief durch und spürte, wie die letzten Reste der toten Luft der Armorica aus ihren Lungen gespült wurden. Hier konnte sie wieder etwas atmen, das nach Erde, Regen und riesigen düsteren Pflanzen roch und feuchter war, als es die Klimakontrollen eines Weltenkreuzers je zulassen würden. Dann beeilte sie sich, so rasch wie möglich zu Tina zu kommen, die auf ihren Bericht wartete. Sie durfte nicht vergessen, dachte Eliza, mit Adrian Harenbergh zu sprechen, ob er ihr diese ungezogene Prothese ein wenig ändern würde.
Und sie durfte nicht vergessen, sich bei Gerda wegen der Geflügelschere zu bedanken.
6. Besuchen Sie den Regenplaneten!
Kevin war als Erkunder besonderer Art an Bord der Armorica unter Tullama gewesen und nutzte die erstbeste Gelegenheit, das um Vilm kreisende Raumschiff zu verlassen und den Boden der Regenwelt zu betreten. Er flog mit einem routinemäßig pendelnden Gleiter und meldete sich bei niemandem ab. Der Reporter hatte keinen Vorgesetzten, war lediglich der fernen Hauptredaktion auf Atibon Legba verantwortlich. Nur irgendwo in der Zentrale der Armorica war er registriert. Kevin wusste, dass die Zentralier
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