Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

Titel: VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
Vom Netzwerk:
bloß mit seinem Hund herum. Und man konnte Tom kaum ein Kind nennen. Das dort war ein junger Mann; geschätzt mindestens sechzehn Jahre, man konnte ihm gern zwei, drei mehr geben. Durch Kevins Kopf schossen Gedanken an frühere Reife bei Naturvölkern, Anpassung an raue Umweltbedingungen und seltsame Bräuche, die bei isolierten Menschengruppen entstanden. Während er Tom ein ums andere Mal aufnahm, erinnerte er sich an etwas, was er über den Körperbautyp bei Eskimos und die Zusammenhänge zwischen Gravitation, Kälte und verkorkster Genetik auf Karna gelesen hatte. Widrige Bedingungen erschaffen starke Menschen, hatte es geheißen. Tom richtete sich auf, sah allerdings nicht zu Kevins Fenster, sondern zum Himmel hinauf. Dort tauchten ständig neue Farben auf, genauer gesagt Tönungen von Grau, die sich in den dahinziehenden Wolken jagten. Kevin machte Großaufnahmen vom leer wirkenden Gesicht des Jungen, von geschlossenen Augen, leicht geöffneten Lippen, bebenden Nasenflügeln. Als ob er etwas wittert, dachte Kevin, warum habe ich die Einzelbildmaschine in der Hand und nicht die andere. Toms Brustkorb hob und senkte sich, als er beide Arme streckte und die Handflächen gegen den Himmel kehrte, die Finger gespreizt. Lächelnd bemerkte Kevin, dass der Junge einen enormen Steifen bekommen hatte. Besuchen Sie den Regenplaneten, dachte er, urwüchsige Natur und geheimnisvolle Kulte der Eingeborenen erwarten Sie! Wolkenbeschwörungen und schleierhafte Riten, die einem fremdartigen Menschenvolk körperliche Kraft und stoische Gelassenheit verleihen! Irgend so ein Zeug, das einem schneller abgekauft wird, als man sich neues ausdenken kann. Tom legte den Kopf zurück, und Kevin hätte heilige Eide darauf geleistet, dass der Regen in genau dem Moment vom Himmel zu stürzen begann, da der Junge die Augen öffnete. Das herabprasselnde Wasser spülte den Schaum von Toms Körper, der sich unter dem heftigen Schauer beugte und streckte und räkelte, als stünde er unter einer warmen Dusche und nicht mitten in einem Platzregen, der bestenfalls vierzehn Grad »warm« sein konnte. Kevin dachte an überhaupt nichts mehr, sondern fotografierte nur noch den Jungen, der sich im Regen wusch, mit Bewegungen, die fließend und weich waren, fast tänzerisch. Der seltsame Hund ließ den Kopf sinken und musterte nacheinander die Pflanzen der Umgebung.
    Kevin bemerkte nicht, dass am Rande des sogenannten Waldes Hubert Cass stand, in einen dunklen Umhang gehüllt und zwischen den Gestrolchen kaum sichtbar. Cass betrachtete das Fenster, hinter dem sich die Gestalt eines fotografierenden Mannes abzeichnete. Er stand vollkommen still, sodass man ihn nur schwer erkennen konnte.
    Kevin lief später lange grübelnd durchs Dritte Dorf. Sind das, überlegte er, noch Menschen oder bereits Außerirdische, sie sind so anders. Auf eine völlig andere Weise, als es beispielsweise die Karnesen sind. Es fielen ihm Details auf, die er bisher kaum beachtet hatte. Die Bewegungen der Kinder etwa. Es gab eine Menge Kinder, und die meisten waren nach der Katastrophe geboren. Alle zeigten geschmeidige raubtierhafte Bewegungen. Kevin folgte in einer Anwandlung von Übermut einem schätzungsweise neun oder zehn Jahre alten Mädchen durch den »Wald«. Er versuchte es wenigstens. Die Kleine hängte ihn ohne Schwierigkeiten ab. Sie fiel in einen rhythmischen und kraftsparend wirkenden Trab, den Kevin nur ein paar Minuten lang nachahmen konnte. Dann zwangen ihn dumpfe Schmerzen in den Schenkeln zum Aufgeben. Er blieb stehen, sah sich um und atmete scharf ein.
    Das dritte Dorf war verschwunden. Überall standen stumm jene monströsen Büsche, die Gestrolche genannt wurden und genauso wenig vertrauenerweckend aussahen, wie der Name klang. Kevin hatte keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Alle Richtungen sahen gleich aus: klitschnasse Gestrolche. Weiche, feuchte Erde. Und keine Spuren. Ein Tier blickte Kevin an. Er kannte es nicht, und er konnte nicht einschätzen, ob es gefährlich war, es hatte immerhin die Größe eines Hundes. Einen Augenblick lang hatte Kevin Angst. Das Tier kam ein paar Schritte näher und erstarrte. Kevin fühlte plötzlich beißende Leere in seinem Magen, wilden Hunger und eine rasche Schwäche. Dann war das vorbei, ehe Kevin sich wundern konnte, hatte er doch ausgiebig gefrühstückt. Das Tier warf sich herum und trottete fort. Kevin lief nach einer kurzen Schrecksekunde hinterdrein. Am Hals des Tieres hatte er eine metallene Plakette

Weitere Kostenlose Bücher