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Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)

Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)

Titel: Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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schließlich und drehte sich um.
    »Ich glaube, ihr werdet den Rest dieses Auftrages auch ohne mich erledigen können. Ich war ja sowieso nur ein Klotz am Bein. Ein Krüppel, der in einen einzigen zurückgebliebenen Körper eingesperrt ist und da niemals rauskommen wird.«
    Er trat einen Schritt zurück und wollte sich umdrehen.
    »Sagt mir einfach Bescheid, was ihr gefunden habt«, sagte er und machte sich auf den Rückweg.
    Er blickte sich nicht um und hatte keine Ahnung, ob der Klempner ihm nachsah oder nicht, ob das Eingesicht aus seinem Versteck wieder auftauchte und ob Lukaschik weiter in der Ferne herumsprang. Vincent wollte einfach nur marschieren, während sich seine Gedanken im Kreis drehten. Die ganze Zeit hatte er das Gefühl, er müsse nur genug nachdenken, um sich an irgendetwas Entscheidendes erinnern zu können. Aber er schaffte es nicht. Alle Bilder in seinem Kopf, die älter waren als der Zwischenfall im Wolkengebirge, wirkten wie Zeichnungen, die ein Fremder angefertigt und in seine Gedanken geworfen hatte. Als wäre sein ganzes Leben, das er vorher zweifellos besessen hatte, in Wirklichkeit nur ausgedacht.
    Während er vor sich hin stapfte, spürte er immer wieder das Wasser an seinem Gesicht entlangstreifen, und erst nach einer ganzen Weile – er war längst außer Sichtweite von Than und Lukaschik – begriff Vincent, dass das weder Regen war noch einer dieser sprühenden Wasserfälle, die sich aus höheren Ebenen des Dickichts in die Sämlingslinse ergossen. Er blieb stehen und schaute sich um.
    Wolkentaucher.
    Die kleinen Tiere umflatterten ihn und streichelten mit den ölig glänzenden Schwingen immer wieder sein Gesicht und seinen Hals; auch an den Handgelenken spürte er das Zupfen der winzigen Krallen.
    Er streckte die Arme vor sich aus, die Handflächen nach oben.
    Ein Wolkentaucher nach dem anderen ließ sich auf seinen Händen nieder. Einer schwebte minutenlang in der Luft, während seine Flughäute rasendschnell komplizierte Muster in die feuchte Luft zeichneten, und ließ sich dann sanft auf der Lebenslinie in Vincents linker Hand nieder, als wäre er eine herabfallende Feder.
    Verflucht, dachte der unvollkommene Mann, ich habe keine Kamera aufgestellt. Das glaubt mir kein Mensch. Schlimmer noch: Das glaubt mir kein Vilmer.
    Er hob seine Hände zum Gesicht, um die kleinen, quirligen Wesen genauer zu betrachten. Sie wuselten über seine Finger und erforschten jede Falte seiner Handflächen. Sie knabberten ein bisschen an seinen Fingernägeln herum und leckten das getrocknete Blut von den Stellen, an denen Vincent sich nervös die Nagelhaut aufgerissen hatte. Ein besonders vorwitziges Exemplar reckte eines seiner beiden Köpfchen empor und versuchte, ihn in die Nasenspitze zu beißen.
    Es war, als würde man an einer Orchidee riechen wollen und zu nah an ihren stachligen Kelch geraten. Vincent musste niesen. Ein Gewusel herumflatternder Wolkentaucher verdunkelte rings um ihn das gedämpfte Licht der Sämlingslinse, ehe sich die scheuen Tierchen überall auf ihm niederließen. Sie saßen auf seinen Schultern, verankerten ihre winzigen Krallen in seinen Ärmeln und hefteten sich an seine Haare, als würden sie den Kopfschmuck eines Teenagers parodieren. Bedeckt von den kleinen Flugtieren, ging Vincent weiter, dem typisch regengefilterten Tageslicht Vilms entgegen.
    Wenn sie nicht wegfliegen, dachte er glücklich, dann bringe ich diese Leute schwer ins Grübeln.
    Dann kann ich Than und diesem bekloppten Lukaschik zeigen, was in Wirklichkeit los ist mit mir.
    Er lächelte, und ein Wolkentauchermäulchen küsste vorsichtig das Grübchen neben seinem Mundwinkel.
    Aber natürlich schwangen sich all seine neuen Freunde in den regnerischen Himmel empor, als er aus dem Mündungstrichter der Sämlingslinse trat und in der Ferne schemenhaft die Silhouette der Stadt erkennen konnte, und verschwanden.
    Vincent sah ihnen nach, und in seinem Kopf ging es drunter und drüber.
    Ich sage ihnen kein Wort, dachte er. Denen in der Stadt. Kein Wort.
    Genau wie er ihnen niemals davon erzählen würde, wie er sich mit einem wilden Eingesicht in einen der leerstehenden Container am Rand der Siedlung eingesperrt hatte. Drei Tage lang war er allein gewesen mit dem Tier, hatte es gefüttert und gestriegelt und gehofft, irgendwie würde ein Puzzlestein in einen anderen einrasten und jene wundersame Verbindung entstehen, um die er die Vilmer so beneidete. Das Eingesicht hatte dankbar das Futter verputzt, sich brav

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