VIRALS - Jeder Tote hütet ein Geheimnis: Band 3 (German Edition)
viel arbeiten müssen, bis das LIRI aus dem Gröbsten raus ist. Das dauert nicht nur Wochen, sondern Monate.«
Kit hatte mit mir darüber gesprochen, ehe er die Stelle angetreten hatte. Und zwar ausführlich. Ich hatte zugestimmt– denn wenn Kit Direktor am LIRI wurde, brauchte niemand umzuziehen. Es sicherte auch den Eltern meiner besten Freunde die Jobs. Damit alle in Charleston blieben, hätte ich weitaus Schlimmeres akzeptiert als einen Vater, der schrecklich viel arbeiten muss. Schließlich musste ich mein Rudel schützen.
Offensichtlich hatte Kit ein solches Gespräch leider nicht mit Whitney geführt.
» Er sollte mehr Zeit mit seiner Familie verbringen«, brachte sie entschlossen hervor.
Das wäre dann ich, nicht du.
» Wie auch immer.« Meine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem angezogen.
Sofakissen bedeckten die Couch, auf der Whitney mit einem halb verspeisten Pfirsich saß. Limonengrün mit rosa Stickereien.
Neue Kissen. Mit Rüschen. Eindeutig nicht von Kit gekauft.
Ich suchte das Zimmer ab und bemerkte weitere beunruhigende Veränderungen.
Auf dem Bücherregal stand eine schwarz-weiße Porzellanvase. Und auf dem Sims war das Bild von Kits Bowlingmannschaft gegen ein gerahmtes Foto von Kit und Whitney in identischen blauen Sweatshirts am Strand getauscht worden.
Weitere kleine Veränderungen hatten im Wohnzimmer stattgefunden. Ein kleiner Benjamini. Keramikbuchstützen. Ein Zeitungshalter aus Korb.
Was zum Teufel ging hier vor?
Kit und ich wohnten in einem Stadthaus auf Morris, einer zehn Quadratkilometer großen Insel, die den Südteil der Hafeneinfahrt von Charleston bildete. Es ist ein schmales Häuschen mit vier Stockwerken, das sich eher in die Höhe als in die Breite ausdehnt. Das unterste Geschoss nehmen ein Büro und eine Garage ein. Küche, Esszimmer und Wohnzimmer liegen im Stock darüber, während das nächste Geschoss die Schlafzimmer beherbergt. Bei meiner Ankunft ist Kit in das hintere gezogen und hat mir das größere vorn überlassen, von dem aus man auf den Ozean hinaussehen kann.
Im obersten Stockwerk befindet sich Kits Höhle, wie ich seine beeindruckende Mediathek nenne, an die eine geräumige Dachterrasse mit fantastischem Blick auf den Atlantik anschließt. Die gesamte Einrichtung stammt von Pottery Barn oder Ikea. Alles in allem ist es ein schönes Haus, solange man sich nicht an den vielen Treppen stört.
Unsere Nachbarschaft besteht aus zehn identischen Häusern, die in ein Betonbauwerk gesetzt wurden, das früher Fort Wagner hieß– ein Überbleibsel aus den Tagen des Bürgerkriegs. Die Siedlung ist so klein, dass die meisten Bewohner von Charleston glauben, Morris sei unbewohnt.
Andere moderne Gebäude gibt es nicht. Die einzige Straße, ein schmales Asphaltband, windet sich durch die Dünen und führt dann hinüber nach Folly Island. Unsere Verbindung zur Zivilisation.
Die Loggerhead Stiftung hat kürzlich das gesamte Land gekauft und die Wohneinheiten an Wissenschaftler vermietet, die auf Loggerhead arbeiten. Die Stolowitskis wohnen in einem, auch die Blues und die Devers. Meine Clique bildet sozusagen die isolierteste Gruppe Teenager auf diesem Planeten.
Wegen der Abgeschiedenheit von Morris gibt es eigentlich kaum Besucher. Und doch lungerte da Whitney auf meinem Sofa herum und benahm sich, als wäre sie hier eingezogen.
Und betätigte sich als Innenarchitektin.
Wut stieg in mir auf. Die Königin des Wasserstoffperoxyds hatte den Bogen überspannt– sie hatte kein Recht, mein Zuhause umzugestalten, ohne mich zu fragen. Schließlich wohnte sie nicht hier. Und sie war nicht meine Mutter.
Hoppla. Da war es. Als die emotionale Woge über mir zusammenschlug, musste ich gegen die Tränen ankämpfen.
Vorgeschichte: Ich lebe erst seit neun Monaten bei Kit, seit meine Mutter durch einen betrunkenen Autofahrer ums Leben gekommen ist. Der Schmerz über den Verlust lauert dicht unter der Oberfläche. Und bleibt dort. Meistens. Bis es mich aus dem Hinterhalt erwischt.
Zum Beispiel durch ungenehmigte Sofakissen auf meiner Couch.
Kit hatte ich erst eine Woche nach dem Unfall kennengelernt. Unser Start war nicht gerade der beste gewesen, aber wir hatten uns schließlich zusammengerauft. Also jedenfalls, wenn nicht gerade auf mich geschossen wurde oder wenn man mich verhaftete.
Kit hatte einmal gesagt, ich würde ihm Angst machen. Er meinte es positiv. Glaube ich. Doch, bin mir sicher.
Obwohl wir noch Lichtjahre von einer normalen Vater-Tochter-Beziehung
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