Virgil Flowers 03 - Bittere Suehne
eine üppige, attraktive Blondine à la Janis Joplin, nicht zierlich-hübsch wie die Blondinen in Nashville, sondern kräftiger, mit Brüsten, die ordentlich schwangen, schmaler Taille und langen Beinen. Sie trug ein bewusst schräges Cowboy-Outfit, eine weiße Lederbluse, einen Rock mit Lederfransen und Cowboystiefel wie die von Zoe. Dazu Lippenstift. Sie hatte einen großen Mund mit üppigen Lippen, die im Scheinwerferlicht tiefrot glänzten. Von diesen Lippen stammte der Abdruck auf dem Kussgruß, den er in Erica McDills Hütte entdeckt hatte, da war Virgil sich sicher.
Und sie konnte singen. Sie hatte nicht den im Moment so populären kristallklaren Nashville-Sopran; ihre Stimme ähnelte eher den Whiskey-rauchigen der älteren Generation. Virgil ertappte sich dabei, dass er ihr tatsächlich lauschte, obwohl der Text eine akute Bedrohung für seinen IQ darstellte. Als sie fertig war, verkündete Wendy: »Und jetzt noch ein Song für diejenigen unter euch, die gern tanzen, ein langsamer Walzer, ›The Artists’ Waltz‹. Ich hab ihn selbst geschrieben und hoffe, dass er euch gefällt.«
Virgil gefiel er.
Ein Dutzend Paare, alles Frauen, tanzte bei gedimmtem Licht zu dem schrecklich romantischen Walzer. Virgil hörte von Anfang bis Ende zu und beobachtete dabei abwechselnd Wendy und Zoe, die, den Blick auf Wendy geheftet, die Hände auf dem Tisch ballte. Zoe hatte ihn definitiv angelogen, dachte Virgil. Selbst wenn er Hannah und ihre Schwestern gesagt hätte, wäre er nicht in ihrem Bett gelandet, weil sie Wendy liebte.
Als der Song zu Ende war, erklärte Wendy: »Jetzt gibt’s fünfzehn Minuten Pause. Danach bekommt ihr von uns wieder eine Stunde beste Wild-Goose-Musik zu hören. Danke …«
Sobald es leiser wurde, beugte sich Zoe, die ihr Bier mittlerweile halb ausgetrunken hatte, vor und erkundigte sich: »Wie lautet nun die Frage, die Sie mir am Telefon nicht stellen konnten?«
Virgil schüttelte den Kopf. Jetzt, da er ihre Reaktion auf Wendy beobachtet hatte, wollte er sie fast nicht mehr damit belästigen. Andererseits trugen ausgesparte Fragen nicht oft zur Lösung von Mordfällen bei.
»Ich habe beobachtet, wie Sie Wendy ansehen. Nun weiß ich, wie eng Ihr Verhältnis zu ihr war. Ist. Was auch immer«, sagte Virgil.
»Ich habe kein Verhältnis mit ihr. Es ist aus«, erklärte Zoe.
»Würden Sie ja sagen, wenn sie Ihnen wieder Avancen macht?«, fragte Virgil.
»Nein.« Doch ihre Hände widersprachen ihren Worten. Virgil schüttelte den Kopf. »Okay: ja.«
»Gut. Sie sind wirklich eine beschissene Lügnerin.«
»Was hat das mit der Frage zu tun?«
Virgil sah ihr in die Augen. »Wussten Sie, dass Wendy die vorletzte Nacht bei Erica McDill in ihrer Hütte im Eagle’s Lair verbracht hat?«
»Eagle Nest. Das glaub ich Ihnen nicht.« Zoe wich seinem Blick nicht aus. Virgil hatte das Gefühl, dass sie die Wahrheit sagte. »Warum erzählen Sie mir das? Wollen Sie mich dazu bringen, dass ich es herumtratsche?«
Virgil wollte gerade den Mund aufmachen, als Wendy sich, Oberschenkel an Oberschenkel, neben ihn in die Nische setzte, Zoe anschaute und sie begrüßte: »Hey, Babe.« Dann sah sie Virgil und wieder Zoe an und fragte: »Wer ist denn diese Sahneschnitte?«
»Das ist der Polizist, der in dem Eagle-Nest-Mordfall ermittelt«, antwortete Zoe.
Wendy zuckte zusammen; Virgil konnte es spüren.
»Er hat die Vietnamesen oben in International Falls massakriert«, fügte Zoe hinzu. »Obwohl er aussieht wie ein Surfer, ist er ein eiskalter Killer.«
»Hey«, protestierte Virgil. »Ich …«
Die Drummerin Berni/Raven trat auf Zoes Seite des Tisches zu ihnen und sah zuerst Wendy und dann Zoe an. »Hab mir schon gedacht, dass du hier bist.«
Wendy warf die Haare in den Nacken, was ein wenig an Marilyn Monroe erinnerte. »Nun sei nicht so gehässig.«
»Du willst mich provozieren«, stellte die Drummerin fest, die schwarze Jeans, eine ärmellose schwarze Jeansjacke über nichts und jede Menge dunklen Lidschatten trug. Der Name »Raven« war auf die Vorderseite ihrer Jacke gestickt. Sie blickte auf Zoe herunter. »Ich wünschte, du würdest dir endlich jemand anders suchen. Der da kommt nicht in Frage, oder?«, erkundigte sie sich mit einem Blick auf Virgil.
»Er ist Polizist«, teilte Wendy ihr mit. »Und ermittelt in dem Mordfall.«
»Dann schießen Sie mal los«, forderte Berni Virgil auf.
Virgil zuckte die Achseln. »Wo waren Sie gestern Abend um acht?«
»Um acht? Hmm, im Bett. Ich hab’s
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